Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Frontscheibe hatte ebenfalls keine Auswirkungen auf das Fahrgefühl. Die Risse im Glas behinderten meine Sicht nicht.
Unter diesen Voraussetzungen tuckerte ich weiter über die Autobahn, immer in der Hoffnung, dass sich kein Streifenwagen für den Zustand meines Mobbys interessierte. Diesbezüglich hatte ich Glück. Die Polizei kreuzte an diesem Tag nicht meinen Weg.
Ich steuerte im Morgengrauen Leipzig an und hielt in der Nähe von Hannas Wohnung an. Aus der Ferne schaute ich in ihre Fenster. Alles war dunkel. Ich hätte mir den Weg sparen können. Falls die Crammes dort gewesen waren, hatten sie längst Reißaus genommen. Die Wohnung wirkte verlassen.
Ich war dazu gezwungen, mein weiteres Vorgehen neu überdenken. Ich ging zurück zu meinem BMW mit dem großen Loch in der Scheibe und überlegte, wie ich verfahren würde, wenn mich jemand verfolgen sollte. Aber dieser Gedanke war der falsche Ansatz, das kapierte ich recht schnell. Ich würde nicht vor meinem Jäger weglaufen, sondern den Kerl stellen. Vielleicht würde ich einen Hinterhalt austüfteln und ihm in den Rücken fallen. Ich wäre in dem Fall sicherlich sehr kreativ. Über Umwege hatte mich letztlich auch Hanna so erlegt, obwohl ich bezweifeln möchte, dass sie das alles genauso geplant hatte.
Wie dem auch sei, ich verwarf die Überlegung und fühlte mich in die Rolle des Gejagten ein. In der zurückliegenden Nacht hatte ich es selber erlebt: Mit dem Angreifer im Nacken konnte ich nicht mehr klar denken. Ich wollte nur noch weg, soweit es nur ging. Ich hatte keine Zeit, mir einen tollen Plan auszumalen, wie ich das Blatt wenden könnte. Der Urinstinkt Flucht regierte meinen Körper, ausgelöst vom größten Urinstinkt in uns allen, dem Überleben. Deswegen trat ich auf das Gaspedal und düste in einem Höllentempo fast in den Anhänger eines Lkws hinein. Ich hätte kurz vor dem Toyota auch bremsen können und mich überraschen lassen, was passiert wäre. Was hätte im schlimmsten Fall geschehen können? Ein Auffahrunfall? Aber dieses Risiko wollte mein Kopf nicht eingehen. Nur das Überleben zählte.
Und so fühlten wahrscheinlich auch die Crammes. Ich trieb sie in die Enge, und sie zeigten mir ihre Krallen, aber sie blieben trotzdem auf der Flucht. Ich hatte ein gefährliches Tier herausgefordert, doch blieb es nur ein Tier. Mit einem kühlen Kopf wäre ich ihnen überlegen, dachte ich zumindest.
Kurzzeitig brachte mir das rationale Denken auch den gewünschten Erfolg. Meine Augen hüllten sich in das Schwarz meiner geschlossenen Lider. Ich wurde zu Hanna. Ich mutierte gedanklich zu dem gehetzten Tier, sah keinen Ausweg mehr. Und was tat ich? Ich rannte. Ich rannte vor meinem Angreifer davon, betete, dass er irgendwann aufgeben würde oder das Interesse an mir verlor. Meine Beine trugen mich weit weg in die Ferne, in die entgegengesetzte Richtung, aus der der schwarze Mann nach meinem Leben trachtete. Ich rannte und rannte und rannte, bis mir die Puste ausging und ich vor Erschöpfung zusammenbrach.
Meine Augen öffneten sich wieder. Ich lächelte vor mich hin und wusste, wohin ich fahren musste. Ich kam aus dem Norden, demnach würde Hanna nach Süden flüchten. Mobby brachte mich wieder auf die A9, diesmal Richtung München.
Ich habe Ihnen ja von meiner untrüglichen Intuition erzählt. Ich sollte mit diesem Talent eine Lebensberatung aufmachen. Mein Bauchgefühl ließ mich auch dieses Mal nicht im Stich. Ich brauste den ganzen Tag die A9 runter und wieder hoch. Ich stoppte in München und aß einen Schweinebraten mit Klößen in einem deftigen Wirtshaus. Anschließend fuhr ich nicht weiter in den Süden. Mir wollte einfach nicht einleuchten, warum Familie Cramme das Land verlassen sollte. Ich wusste auch nicht, wieso ich das annahm. Möglicherweise schloss ich das aus Hannas Heimatverbundenheit. Sie hätte gleich nach meinem Einbruch in Leipzig ins Ausland fliehen können, aber sie begab sich zu ihrem Vater, zu ihren Wurzeln. Es war schlicht eine meiner Eingebungen, die mich wieder ganz nah an Hanna bringen sollte. Ich hätte mich genauso gut bei meiner Einschätzung täuschen können. Doch sind wir einen Moment ehrlich: Das tue ich eigentlich nie.
Nach meinem kurzen Abstecher nach München bretterte ich wieder nördlich auf der A9 Richtung Berlin. Die Nacht brach herein und erschwerte mir mit ihrer Schwärze die Suche nach dem dunkelblauen Toyota Avensis. Beinahe alle Lackierungen erschienen dunkelgrau. Dafür nahm der Verkehr merklich
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