Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
zum Hals mit drinsteckt, wie ich es vermute, stirbt der alte Mann den Gnadentod. Falls ihr die ganze Wahrheit erfahren wollt, solltet ihr euch mir anschließen. Ich gebe euch einen Tag Zeit für eure Wahl. Ruft mich einfach an! Ich lasse euch die Nummer hier.« Ich erhebe mich von meinem Stuhl und gehe zum Schreibtisch. Ich nehme den blauen Kugelschreiber, der darauf liegt, in die linke Hand und notiere die Nummer meines Zweithandys (mein Smartphone habe ich wie so vieles andere auch im Wald verloren) auf einer Pizzabestellung. Danach richte ich mich auf und sehe Hanna noch mal tief in die Augen. »Ruf mich an! Und denk dran: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die Alliierten haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch schnell wieder in zwei Lager gespalten, aber vorher haben sie erfolgreich einen Tyrannen gestürzt. Wir könnten das auch vollbringen.«
Hanna nickt nur schlapp und sagt nichts. Sie ist immer noch damit beschäftigt, die aufgestellten Behauptungen zu verdauen. Ich habe keinen Schimmer, wie sie sich entscheiden wird. Die Chancen stehen fünfzig-fünfzig. Der klassische Münzwurf.
Ich gehe zur Tür und öffne sie knarrend.
Peter Cramme und Julie haben sich zu Hanna begeben und mit ihr eine menschliche Traube erzeugt. Alle schluchzen wehmütig.
Ich bin ein bisschen neidisch auf den starken Familienzusammenhalt. Manchmal wünsche ich mir auch Nähe, für die ich nicht bezahlen muss. Ich lächle humorlos und spreche noch einen letzten Gedanken aus: »Ach so, bevor ich es vergesse.« Nur Hanna schaut neugierig zu mir hoch. »Wenn meine Berechnungen stimmen, sollten heute oder morgen die vierzehn Tage ablaufen, die ich Zeit hatte, um dich umzubringen. Der Aufenthalt im Krankenhaus hat mich etwas durcheinandergebracht. Egal! Was ich damit sagen will, ist nur, dass der Auftraggeber einen neuen Killer auf dich ansetzen wird. Das Spiel ist noch lange nicht vorbei. Es hat gerade erst begonnen.« Aus Hannas Augen lese ich ab, dass sie damit bereits gerechnet hat. Ich möchte die weiteren Reaktionen der Familie nicht abwarten und verlasse das Hotelzimmer deshalb ohne Zögern.
Ich sprinte die Stufen herunter ins Erdgeschoss und laufe an der verwaisten Rezeption vorbei ins Freie. Es regnet bereits wieder. Das Wetter passt zu dem Gefühl in meiner Magengrube. Kalte Trauer.
Sie lässt sich viel Zeit mit ihrer Entscheidung, für meinen Geschmack zu viel. Der Tag wird zur kleinen Ewigkeit. Ich habe mir ein luxuriöseres Hotelzimmer angemietet, vier Sterne, und trotzdem kann ich nichts weiter tun, als im Wohnbereich auf und ab zu laufen, bis mir die Füße bluten. Das Haus ist mit einem Pool, einer Sauna und sogar einem kleinen Fitnessraum ausgestattet, aber ich kann mich hier beim besten Willen nicht entspannen. Abgesehen davon käme Fitness bei meinen Verletzungen sowieso noch zu früh. Sei es drum, ich bin zu einer jämmerlichen Schießbudenfigur verkommen. Vor ein paar Wochen hätte ich das Telefonat noch mit der größtmöglichen Coolness entgegengesehen. Ich wäre ins Kino gegangen, hätte eine Zigarre geraucht und ein leichtes Mädchen mit meinen bunten Geldscheinen angelockt. Jetzt streife ich durch mein Zimmer, hinterlasse eine Schneise auf dem Teppich und bin nur noch ein nervliches Wrack. Ich mache mein Leben von der Entscheidung eines anderen Menschen abhängig. Unvorstellbar, dachte ich jedenfalls bis jetzt.
Als ich meine letzten Gedanken noch mal Revue passieren lasse, lande ich beim Thema Rauchen . Ich habe die krebserregenden Glimmstängel seit dem Zwischenfall im Wald nicht mehr angerührt. Seltsam. Ich hatte in den zurückliegenden Tagen kein Verlangen nach dem süßen Nikotin. Hat mein Körper ohne mein Mitwissen entschieden, dass er die seichte Droge nicht mehr benötigt oder nehmen die Schmerzmittel inzwischen den Stellenwert des Tabaks ein? Ich schlucke die kleinen weißen Pillen in gleicher Regelmäßigkeit, wie ich sonst eine Zigarette geraucht hätte. Dennoch wollen meine Schmerzen kein Ende nehmen. Vielleicht könnte ich schon ohne Tabletten auskommen, wenn ich nur ein paar Stunden auf die Zähne beißen würde. Ich könnte beweisen, dass ich noch der alte Draufgänger bin. Bald muss ich es ausprobieren. Aber erst, wenn die Angelegenheit mit der Vita brevis überstanden ist. Denn wenn ich die Medizin weiterhin in Massen in mich hinein stopfe, rutsche ich von einer Abhängigkeit in die nächste. Darauf kann ich getrost verzichten.
Ich beschließe, dass ich mir zur Genüge die
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