Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
ein Weibsbild.«
»Ich habe meine Gründe und damit basta! Packen wir zusammen, wir haben noch einen längeren Rückweg mit unserer Ware vor uns.«
Baltasar wartete, bis die beiden außer Hörweite waren, und ging zu der Quelle. Er konnte sich noch erinnern, wie er seinerzeit hier vorbeigekommen war, damals war es nur ein Rinnsal, das aus der Erde entsprang, nüchtern, wie die Natur es geschaffen hatte. Jetzt war dieser Ort völlig verändert. Die Quelle war mit Steinen eingefasst worden. Auf den Simsen rund um das Becken standen unzählige Devotionalien, die von Besuchern dort abgelegt worden waren: Amulette, Ringe, Schnitzereien, mehrere Ketten, Marienstatuen aus Ton, Kreuze, Teddybären, Fotografien und Grablichter. Farbige Bänder schmückten die Bäume der näheren Umgebung, in der Rinde hatten sich Liebespaare mit Monogrammen und Jahreszahlen verewigt. Alles machte einen gepflegten Eindruck, als ob jemand sich regelmäßig darum kümmerte.
Als Baltasar einige Schritte bergauf ging, bot sich die nächste Überraschung. In eine Nische des Berges war eine winzige Kapelle gebaut worden, nur zu erkennen, wenn man an der richtigen Position stand. Sie war mannshoch, eigentlich mehr wie ein Marterl aus Stein, doch sie verfügte über ein Dach und eine eingelassene Vitrine aus Glas. Darin stand, etwa einen Meter groß, eine Marienstatue, um deren Hand ein Rosenkranz gewickelt war. Solide Arbeit, dachte Baltasar, es war sicher eine große Mühe gewesen, all das Material hier hochzuschleppen und das Bauwerk zu errichten. Und bisher war alles im Verborgenen geblieben. Diejenigen, die um diesen Ort wussten, hielten ihren Mund.
In der Kapelle brannten Kerzen, von denen ihm eine besonders ins Auge stach. Sie zeigte zwei gekreuzte Rosen. In der Marienkapelle Arnbruck bei den Totenbrettern hatte er ein ähnliches Symbol gesehen. Er sah sich weiter um, betrachtete die Andachtsbildchen und Blumensträuße, die vor der Vitrine lagen. Gefaltete Zettel steckten in den Ritzen des Mauerwerks. Baltasar nahm einen heraus und las: »Hilf, dass ich wieder gesund werde.«
Was war die Anziehungskraft dieses Ortes? Warum errichteten Menschen mitten im Wald eine Gebetsstätte? Und vor allem: Wer hatte das alles in Gang gesetzt?
Baltasar probierte von der Quelle. War sie die Ursache von allem – ein heiliges Wasser, entsprungen aus der Tiefe des Berges? Er bewegte die Flüssigkeit im Mund hin und her, als ob er einen Wein kostete, spuckte aus, nahm einen neuen Schluck. Nun, ganz objektiv, es schmeckte wie Wasser. Wenn er ehrlich war, wie das Leitungswasser daheim, etwas frischer zwar, weil direkt aus der Natur, aber ansonsten – Wasser. Und der Heilige Geist war deshalb auch nicht in ihn gefahren, er fühlte sich weder jünger noch kräftiger. Aber ihm war klar, dass andere Menschen aus der Gemeinde das anders sahen. Sie glaubten daran – wie Teresa. Er füllte die Flaschen für seine Haushälterin und machte sich auf den Heimweg.
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F ür jeden katholischen Pfarrer gab es unangenehme Pflichten, über die man lieber schwieg. Zu diesen Bürden, die das Amt mit sich brachte, gehörte beispielsweise die Teilnahme an Vereinstreffen, weil Kaninchenzüchter und Sportschützen sich einbildeten, ihre neue Fahne brauche dringend göttlichen Segen und einige Spritzer Weihwasser. Oder die Einladungen zu Geschäftseröffnungen, meist mit schlechtem Essen und noch schlechteren Getränken, wo sterbenslangweilige Ansprachen einen folterten und das Prosit mit Zuckerwasserwein aus dem Supermarkt erfolgte. Dummerweise brachten all diese Veranstaltungen eine mehr oder weniger großzügige Spende in die Kasse der Kirchengemeinde, was einem half, eigene Projekte zu finanzieren. In Baltasars Augen jedoch war das schwer verdientes Schmerzensgeld.
Am schlimmsten aber für jeden Seelsorger war der Zeitpunkt, wenn er von seinem Dienstherrn zum Rapport gerufen wurde. Natürlich war es von der Diözese netter formuliert, als »Einladung«, die man aber – wie auf Sizilien – nicht ablehnen konnte. Mitbestimmung galt in diesen Kreisen nämlich als Fremdwort, das auszusprechen sofortige Mundfäule hervorrief. Man hatte zu gehorchen, da verstanden die Oberen keinen Spaß, und schon gar nicht Bischof Vinzenz Siebenhaar in Passau.
Vallerots Auto parkte Baltasar in der Nähe des Hauptbahnhofs und ging durch die Fußgängerzone bis zum Domplatz. Das Palais des Bischofs nahm fast die gesamte Breite der Ostseite ein. Durch Milchglastüren ging es hinauf ins
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