Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
einige Schritte, blieb stehen. Wieder dieses seltsame Atmen. Baltasar überkam das Gefühl, beobachtet zu werden. Jetzt lass ich mich von diesem Durchgedrehten auch noch nervös machen, dachte er, geh einfach weiter, stur geradeaus.
Das Hecheln kam näher. Es klang nicht menschlich. Baltasar verlangsamte seine Schritte. Noch fünf Meter bis zum Tor. Er sah das Fahrrad am Zaun lehnen. Noch vier Meter.
Dann sah er ihn. Er war wie aus dem Nichts aufgetaucht und versperrte ihm den Weg. Das Fell glänzte schwarz, die Füße waren braun gefärbt, als hätte er zu lange in einem Farbeimer gestanden. Schönes Tier, dachte Baltasar für die Dauer eines Wimpernschlags. Dann wurde ihm bewusst, was er hier vor sich hatte: einen ausgewachsenen Dobermann.
Was in ihm Panik aufsteigen ließ, waren nicht die heruntergezogenen Lefzen, die ein makellos weißes Gebiss freilegten. Auch nicht das Knurren, das dunkel und bedrohlich grollte. Nein, es waren die Augen, die wie glühende Kohlen leuchteten und ihn fixierten. Der Blick drückte Entschlossenheit aus und Angriffslust, mehr noch, es spiegelte sich darin der unbedingte Wille, jeden Gegner zu erledigen. Bis zum bitteren Ende.
»Na du, suchst du dein Stöckchen zum Spielen?« Baltasar wusste in derselben Sekunde, wie lächerlich diese Ansage war. Woher kam der Hund? Er hatte ihn beim Kommen nirgends gesehen, wahrscheinlich war er normalerweise in einem Zwinger eingesperrt. Hatte ihn jemand absichtlich freigelassen? Baltasar wagte nicht, sich zu rühren.
Das Knurren wurde lauter. Geifer tropfte dem Hund von den Lefzen.
»Ganz ruhig, ganz ruhig. Bleib einfach, wo du bist. Ich tue dir nichts.« Baltasar probierte die Stimmlage, die er als Seelsorger nur für die ganz schwierigen Fälle reserviert hatte. Er schickte ein Stoßgebet gen Himmel, nein, gleich mehrere, und flehte um göttlichen Beistand. Er versprach, Maria eine Kerze zu stiften, wenn er hier heil herauskam. Der Dobermann fing an zu bellen.
Noch immer war Baltasar wie gelähmt. Er musste etwas tun. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis die Bestie zuschnappte und ihn in Stücke riss. Wie in Zeitlupe zog er seine Regenjacke aus und ging in die Knie, den Hund nicht aus den Augen lassend. Er ertastete einige größere Kieselsteine, nahm sie in die Hand und richtete sich wieder auf.
Der Dobermann setzte zum Sprung an, die Muskeln zeichneten sich unter dem Fell ab. Baltasar machte einen Ausfallschritt auf ihn zu und schwenkte seine Jacke wie ein Torero beim Stierkampf.
Tatsächlich war das Tier für einen Sekundenbruchteil irritiert, aber nicht lange genug, dass es Baltasar an ihm vorbeischaffte. Dem ersten Biss des Dobermanns konnte er ausweichen, er hörte das Knacken, als die Kiefer zusammenschnappten. Dann schleuderte Baltasar mit aller Kraft die Kieselsteine – und traf das Ungetüm am Kopf. Es jaulte auf und wich zurück.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Baltasar nur noch, wie ein Schatten auf ihn zugeflogen kam. Er spürte den Aufprall, die Krallen an seiner Hüfte, die Schnauze des Dobermanns Zentimeter von seinem Kopf entfernt. Reflexhaft hob er die Jacke, die Zähne verbissen sich in dem Stoff. Baltasar versuchte, die Jacke wie einen Sack über den Kopf des Hundes zu ziehen.
Der Dobermann schüttelte sich, um sich zu befreien, und nahm seine Pfoten zu Hilfe. Jetzt oder nie. Baltasar hechtete durch den Spalt des Tores, spürte den Atem des Hundes hinter sich, drückte gegen das Tor, ein Stich in seinem Arm, das Tor fiel zu.
Er zitterte am ganzen Körper und versuchte, sich aufs Rad zu schwingen, was ihm erst im zweiten Anlauf gelang. Er trat in die Pedale. Hinter sich das wütende Bellen des Wachhundes.
Seine Hüfte schmerzte, der Unterarm schmerzte. Das Hemd war blutig. Baltasar war es egal – er war froh, dem Albtraum entkommen zu sein.
24
N un Sie sich nicht so anstellen.« Teresa hatte alles auf den Tisch gestellt. »Sie alles schmutzig machen mit Ihrem Blut.« Baltasar saß auf seinem Bett und hielt sich den linken Arm. Er konnte sich kaum rühren. So musste sich eine Voodoo-Puppe fühlen, die mit Nadeln durchstochen worden war.
»Wir Arzt holen. Er alles angucken und Sie heilen.«
»Bloß keinen Doktor. Das kann ich jetzt gar nicht brauchen. Ist nur halb so schlimm, wie’s aussieht. Sie verbinden mich. Können Sie damit umgehen?« Er zeigte auf den Verbandskasten.
»Was denken Sie? Ich hatte Erste-Hilfe-Kurs in Krakau. Schon öfter Menschen verarztet.« Sie klappte den Kasten auf. »Sie
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