Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
müssen zuerst das Hemd ausziehen. Sonst nicht funktioniert.«
Er versuchte das Hemd abzustreifen. Sein Arm tat höllisch weh.
»Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Sie knöpfte ihm das Hemd auf, zog vorsichtig den Stoff herunter. »Ich glaube, wir müssen Hemd wegwerfen, sehen Sie die Löcher.« An mehreren Stellen war der Ärmel zerfetzt.
»Weg damit, ich zieh ein neues an.«
An seinem Unterarm zeigten sich gleichmäßige Wundmale, die der Hundebiss hinterlassen hatte. Teresa begutachtete die Verletzung. »Ist nicht tief, dem lieben Gott sei Dank. Muss nicht genäht werden.« Das sollte aufmunternd klingen, doch Baltasar half es wenig.
»Wir tun einfach ein Desinfektionsmittel drauf.« Sie kramte in dem Kasten, zog eine Flasche mit farbloser Flüssigkeit heraus und las das Etikett. »Das ist das Richtige.« Mit einem Lappen reinigte sie die Haut um die Wunde. Sie tränkte einen Wattebausch mit dem Mittel und strich über die verletzten Stellen.
»Ahhh!« Baltasar biss sich auf die Lippen, um nicht laut aufzuschreien. Er glaubte, vor Schmerz knapp unter der Zimmerdecke zu schweben.
»Tut gut, nicht?« Teresa hielt seinen Arm fest. Ein Entkommen war unmöglich.
»Haben Sie Salzsäure in die Wunden gekippt? Lesen Sie vorsichtshalber mal das Kleingedruckte auf der Flasche.« Er hatte Mühe, regelmäßig zu atmen. Der Impuls, sich loszureißen und den Arm unter den Wasserhahn zu halten, war übermächtig.
»Kitzelt ein wenig, das ist normal. Kinder mögen so was. Gleich geht es Ihnen wieder besser. Sie werden sehen.«
»Wenn Sie meinen, ich …« Den Rest des Satzes brachte er nicht mehr heraus, denn Teresa hatte ihre Behandlung ohne Vorwarnung wiederholt. Am liebsten hätte er losgebrüllt, doch mit letzter Willenskraft gelang es ihm, den Mund geschlossen zu halten, schließlich wollte er nicht als Schwächling erscheinen, wenn schon Kleinkinder so tapfer waren …
»Ich glaube, jetzt reicht’s. Mir geht es schon viel besser.« Das war gelogen, aber Baltasar graute vor einer weiteren Runde Desinfektionsmittel.
»Wir noch die anderen Verletzungen ansehen. Sie Ihr Unterhemd runtertun, Herr Senner.«
Es war ihm ein wenig peinlich, in seinem Schlafzimmer mit nacktem Oberkörper dazusitzen und die prüfenden Blicke der Haushälterin über sich ergehen zu lassen. Schließlich zeigte er sich normalerweise nie unbekleidet vor anderen, zumindest nicht, seit er den Beruf des Pfarrers ergriffen hatte. Früher war das anders gewesen. Wenn er an gewisse Frauen in seiner Vergangenheit dachte … Doch das war lange her.
Aber jetzt erwarteten die Betonköpfe der katholischen Obrigkeit, ein Priester hätte keusch zu sein – wie der beschönigende Ausdruck für den Trugschluss lautete, ein Mensch könne seine Gefühle unterdrücken und würde keine Liebe mehr empfinden. Er, Baltasar Senner, war kein Stein, und keine Vorschrift dieser Welt würde daran etwas ändern. Auch glaubte er nicht, dass der liebe Gott Beziehungsfragen so eng sah. Bei den Evangelischen war es sowieso kein Thema, und Maria Magdalena war immerhin die Begleiterin Jesu gewesen.
Hier in der Pfarrei lebte er zwar unter einem Dach mit einer Frau, aber jeder war für sich. Er duschte allein, zog sich allein an, ging allein zu Bett. Teresa hatte er noch nie unbekleidet gesehen, auch nicht zufällig. Wobei es nicht viel Fantasie brauchte, sich gewisse Körperregionen Teresas vorzustellen, bei ihrer Vorliebe für hautenge Pullover und T-Shirts. Man lebte zusammen, und doch lebte man getrennt. Man verbrachte mehr Zeit miteinander als manches Ehepaar und blieb dennoch auf Distanz. Auf der einen Seite ging man vertraut miteinander um, auf der anderen Seite blieb man sich irgendwie fremd.
»Drehen Sie sich bitte her, ich kann sonst nicht anschauen.«
Seitlich von seiner Hüfte zogen sich mehrere rote Linien geronnenen Bluts schräg nach unten und endeten im Rücken unter der Gürtellinie, Folge der Dobermann-Krallen.
»Sieht harmlos aus, ist nur oberflächlich angeritzt.« Teresa fuhr mit dem Finger über die Kratzer. »Ich werde Salbe drauftun und dann verbinden. Sie sehen, heilt schnell.«
Sie kramte nach einer Tube im Verbandskasten, legte Kompressen, Mullbinden und Pflaster bereit. Die Salbe kühlte die brennenden Bisswunden. Bald war der Arm eingewickelt, und Baltasar fühlte sich wesentlich besser.
»Jetzt Sie auf den Bauch legen, sonst kann ich die Kratzer nicht einreiben.« Teresa drückte die Salbe heraus und verteilte sie in ihren Händen. Baltasar
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