Stout, Maria
Sie
überlegt, sich zur Ruhe zu setzen; aber der Gedanke macht sie traurig. Ihr
Unterricht und die Kinder bedeuten ihr alles in der Welt, und sie will nicht
ernsthaft aufhören zu arbeiten. Ihr Mann Fred, der sieben Jahre älter ist und
bereits im Ruhestand, hat Verständnis für sie und Geduld.
"Wann
immer du bereit bist", pflegt er zu sagen. "Ich mag ohnehin gern im
Haus herumwuseln und Kleinigkeiten reparieren." Und dann lachen sie
beide. Fred ist kaum in der Lage, eine kaputte Glühbirne zu ersetzen. Bis er
widerwillig vor einem Jahr den Posten aufgegeben hatte, war er Redakteur bei
der Lokalzeitung gewesen. Er ist ein guter, ruhiger, gebildeter Mann, der
ebenfalls seine Arbeit geliebt hat; er schreibt noch immer ehrenhalber in der
Rubrik "Menschliches" eine Kolumne unter dem Titel: "Menschen,
die man kennen sollte."
Als das
Telefon klingelt, sitzt Fred im Wohnzimmer und liest, während Catherine in der
Küche ist und im Begriff, zeitig zur Arbeit zu fahren. Das Klingeln des
Telefons so früh am Morgen erschreckt Catherine. Schnell nimmt sie den Hörer
ab.
"Hallo?"
"Catherine",
sagt Tillie unvermittelt und stößt das Wort aus, als sei sie verärgert.
"Ja,
hier spricht Catherine. Tillie? Meine Güte, Tillie, es ist sieben Uhr morgens.
Geht es Ihnen gut?"
"Ja,
mir geht es gut. Ich habe eben ein Murmeltier im Garten gesehen und dachte mir,
dass Sie das vielleicht interessieren würde."
"Ein
was? Ein Murmeltier?"
"Ja,
hinten zwischen unseren Grundstücken."
"Tja,
das ist ... interessant. Muss wohl niedlich gewesen sein, oder?"
"War
es wohl. Na ja, ich weiß, dass Sie beschäftigt sind. Ich dachte nur, dass Sie
von dem Tier wissen sollten. Wir können später darüber sprechen, bis dann."
"Äh,
ja. Wir reden später, also bis dann, Tillie."
Catherine
legt verwundert den Hörer auf und Fred ruft: "Was war denn das?"
Sie geht
ins Wohnzimmer, wo er mit seinem Buch sitzt, und antwortet: "Das war
Tillie."
"Aha",
sagt Fred und rollt mit den Augen. "Und was hat sie gewollt?"
"Sie
wollte mir mitteilen, dass sie hinter dem Haus ein Murmeltier gesehen hat."
"Warum
wollte sie dir das mitteilen?"
Catherine
schüttelt langsam den Kopf und sagt: "Ich habe nicht die geringste Ahnung."
"Ach,
Tillie!", exklamiert Fred und hebt den rechten Arm in spöttischem Salut
über den Kopf.
Als
Catherine ihre morgendliche Routine beendet, fühlt sie sich ein bisschen
beunruhigt und etwas unwohl, da sie weiß, dass bei Tillie die Handlung sich
stets verdichtet und die Auflösung wahrscheinlich anmaßend und unerfreulich
sein wird. Aber sie kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, was es mit
dem Murmeltier auf sich haben könnte. Will Tillie es loswerden? Holt Tillie
indirekt ihre Erlaubnis ein? Und davon einmal abgesehen - Catherine und Fred
haben seit dreißig Jahren in genau diesem Haus gelebt und noch kein einziges
Mal ein Murmeltier auf dem Gelände gesehen. Wie seltsam.
Als sie im
Begriff ist, sich auf den Weg zur Schule zu machen, klingelt das Telefon ein
zweites Mal. Sie nimmt an, dass es wieder Tillie sein muss, aber stattdessen
ist es eine andere Nachbarin, die nette, zurückhaltende Sunny, und sie ist in
Tränen aufgelöst. Sunny erzählt Catherine, dass Tillie sie genötigt hätte, ihr
Auto in ihrer Einfahrt zu parken, und nun säße sie in der Falle. Könnte ihr
vielleicht jemand helfen? Könnten Catherine und Fred sie vielleicht heute zum Laden
fahren? Als sie von dieser neuesten Heldentat Tillies hört, rötet sich
Catherines Gesicht vor Wut; aber sie versichert Tillie so ruhig sie kann, dass
Fred sie selbstverständlich zum Laden fahren würde. Vielleicht gegen Mittag?
Außerdem würde Fred den Polizeichef sehr gut kennen, und vielleicht könne man
ja irgendwie das Problem mit Sunnys Parkplatz lösen.
Während
sie im Laufe des Tages ihre sechste Klasse unterrichtet, vergisst Catherine
die Angelegenheit mit Tillie; als sie aber gegen halb fünf nach Hause kommt,
fällt ihr der Anruf am frühen Morgen wieder ein, und wieder fühlt sie sich
zunehmend unwohl. Sie hatte beabsichtigt, vor dem Abendessen ein Nickerchen zu
machen; aber als sie sich auf das Bett setzt, wird ihr ungutes Gefühl plötzlich
stärker, und es zieht sie ans Fenster. Das Schlafzimmer ist im ersten Stock,
und von hier aus hat Catherine einen freien Blick über den gesamten hinteren
Teil des Grundstücks und auch Tillies Rasen hinter dem Haus. Der Tag war für
die Jahreszeit ungewöhnlich warm gewesen, und die hübschen Forsythien, die
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