Stout, Maria
Virginia
Ochsenfrösche zu verstümmeln, wird eines Tages zu Grabe getragen werden, ohne
verstanden zu haben, dass sein Leben mit Sinn und Herzenswärme hätte erfüllt
sein können.
DREI
wenn das
normale gewissen schläft
Der Preis
der Freiheit ist ewige Wachsamkeit. — Thomas Jefferson
Das
Gewissen stiftet Sinn. Als ein Gefühl der Einschränkung, das in unseren
emotionalen Bindungen untereinander verwurzelt ist, verhindert es, dass das
Leben zu nichts als einem endlosen und eigentlich langweiligen Spiel des
Strebens nach Dominanz über unsere Mitmenschen degeneriert. Für jede
Einschränkung, die das Gewissen uns auferlegt, gibt es uns einen Moment der
Verbundenheit mit einem Anderen, ein
Brückenschlag zu einem Menschen oder Ding jenseits unserer oft bedeutungslosen
Aktivitäten. Angesichts der eisigen Alternative, ein Mensch wie Skip zu sein, wünscht
man sich sehnlichst ein Gewissen. Und so erhebt sich die Frage: Bei den 96 Prozent von uns, die keine Soziopathen sind - verändert
sich das Gewissen jemals? Kann es schwanken oder schwinden - oder gar
absterben?
Nun, auch
das Gewissen eines normalen Menschen operiert nicht immer auf demselben Niveau.
Einer der einfachsten Gründe für diese Unbeständigkeit liegt in den zugrunde
liegenden Umständen eines Daseins in einem fehlbaren, von Bedürfnissen
getriebenen menschlichen Körper. Wenn der Körper erschöpft, krank oder verletzt
ist, können alle unsere emotionalen Funktionen einschließlich des Gewissens
zeitweilig beeinträchtigt werden.
Um das zu
illustrieren, wollen wir annehmen, der Rechtsanwalt Joe hätte während seiner
Autofahrt 39 Grad
Fieber gehabt und sei etwas benommen gewesen. Wir erkennen sofort, dass sein
Urteilsvermögen beeinträchtigt ist, da er, obwohl er krank ist, an dem
geschäftlichen Meeting teilnehmen will. Aber wie ist es um seine Moral
bestellt? Was tut Joe, als ihm einfällt, dass sein geliebter Hund Reebok nichts
zu fressen hat, während ein erbarmungsloses Virus seinen Körper in Besitz
nimmt? In dieser Variante der Geschichte hätte Joe kaum die Kraft, seine
ursprünglichen Pläne durchzuführen; noch weniger wäre er in der Lage gewesen,
die Sachlage schnell zu analysieren, auf der Stelle Prioritäten zu setzen und
seine Pläne zu ändern, so wie er es in dem gesunden Szenario tut. Er ist
fiebrig und benommen, und nun steht seine emotionale Reaktion auf Reeboks Not
in direkter Konkurrenz zu seinem eigenen Elend. Vielleicht wird trotzdem das
Gewissen die Oberhand behalten; es könnte aber auch die Durchsetzungskraft
seiner Überzeugungen durch die Krankheit geschwächt sein. Vielleicht folgt er
dem Weg des geringsten Widerstandes, fährt weiter und quält sich mit der
Umsetzung seiner ursprünglichen Pläne ab, während Reebok zwar nicht völlig
vergessen ist, aber für eine Weile eine niedrigere emotionale Priorität hat.
Eigentlich
wollen wir uns Joe - oder uns selbst - nicht so vorstellen, aber es ist
interessant, und es stimmt: Unser erhabenes Gewissen, Stifter von Verbundenheit
und Sinn, kann manchmal erheblich beeinträchtigt werden durch Umstände, die
nichts mit richtig oder falsch zu tun haben und so irrelevant für unsere
moralischen Empfindungen sind wie eine Erkältung - oder eine schlaflose Nacht,
ein Autounfall oder Zahnschmerzen. Das normale Gewissen verschwindet nie, aber
wenn der Körper geschwächt ist, kann das Gewissen sehr müde und unkonzentriert
werden.
Ein
körperlicher Angriff ist eine von zwei Lebenslagen - die andere ist große Angst
-, die in unseren Augen ein standhaftes, wachsames Gewissen als geradezu
heldenhaft erscheinen lassen. Wenn ein Mensch akut krank oder schwer verletzt
ist oder Angst hat und doch seinen emotionalen Bindungen treu bleibt, halten
wir diese Person für mutig. Das klassische Beispiel ist der Frontsoldat, der,
obgleich selbst verwundet, seinen Kameraden unter feindlichem Beschuss rettet.
Dass wir auf dem Begriff "mutig" bestehen, um solche Taten zu
beschreiben, ist unser stillschweigendes Eingeständnis, dass die Stimme des
Gewissens für gewöhnlich durch große Schmerzen oder Angst zum Schweigen
gebracht wird. Und hätte Joe mit 39 Grad
Fieber einen Umweg nach Haus gemacht, um den Hund zu versorgen, würden wir wohl
sein Verhalten als eine kleine Heldentat empfinden. Unsere Reaktion wäre wohl
stärker als ein sentimentales Lächeln - vielleicht würden wir ihm anerkennend
auf die Schulter klopfen wollen.
Einen
körperlichen Einfluss auf das Gewissen
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