Stout, Maria
andere Menschen, selbst "Freunde"
oder Angehörige, bestenfalls disponible Spielfiguren. Liebe kommt bei ihnen
nicht vor und kann überdies nicht verstanden werden, wenn sie bei anderen
Menschen beobachtet wird.
Die
einzigen Emotionen, die Soziopathen anscheinend wirklich empfinden, sind die
sogenannten "primitiven" affektiven Reaktionen, die aus
unmittelbaren körperlichen Schmerzen oder Freuden resultieren oder aus
kurzfristigen Frustrationen oder Erfolgserlebnissen. Frustration kann bei
Soziopathen Ärger oder Wut hervorrufen. Und ein räuberischer Erfolg, ein Sieg
in einem Katz-und-Maus-Spiel (zum Beispiel Doreens Erfolg, Jenna über den
durchweichten Rasen einer Klinik auf eine sinnlose Mission zu schicken), löst
typischerweise aggressive Affekte und Erregung aus, einen Nervenkitzel, der als
ein Moment der Schadenfreude erlebt werden kann. Diese emotionalen Reaktionen
sind selten von Dauer, und sie werden als neurologisch "primitiv"
bezeichnet, weil sie - wie alle Emotionen - ihren Ursprung im entwicklungsgeschichtlich
frühzeitlichen limbischen System des Gehirns haben, jedoch im Gegensatz zu den "höheren"
Emotionen nicht signifikant durch die Funktionen der Großhirnrinde beeinflusst
werden.
Als
Kontrapunkt zur Soziopathie ist der Befund des Narzissmus besonders
interessant und aufschlussreich. Narzissmus ist gewissermaßen nur die Hälfte
dessen, was Soziopathie ausmacht. Auch klinische Narzissten sind fähig, die
meisten Emotionen ebenso intensiv zu empfinden wie andere Menschen, von Schuldgefühl
und Traurigkeit bis zu verzweifelter Liebe und Leidenschaft. Die fehlende
Hälfte ist die wichtige Fähigkeit, die Gefühle anderer Menschen zu verstehen.
Narzissmus ist kein Versagen des Gewissens, sondern des Mitgefühls, also der
Fähigkeit, die Gefühle anderer Menschen wahrzunehmen und angemessen darauf zu
reagieren. Der bedauernswerte Narzisst kann in emotionaler Hinsicht nicht über
seine Nasenspitze hinaus sehen, und wie beim "Pillsbury Doughboy"*
prallt jede äußere Einwirkung von ihm ab, als sei nichts geschehen. Im
Gegensatz zu Soziopathen haben Narzissten häufig seelische Schmerzen zu
ertragen und unterziehen sich gelegentlich einer Psychotherapie. Wenn ein
Narzisst Hilfe sucht, ist gewöhnlich eines der zugrundeliegenden Probleme, dass
er unwissentlich seine sozialen Beziehungen durch fehlendes Mitgefühl zerstört
und sich dann verwirrt, verlassen und einsam fühlt. Ihm fehlen die Menschen,
die er liebt, und er ist kaum in der Lage, sie zurückzugewinnen. Für Soziopathen
hingegen bedeuten andere Menschen nichts, und daher fehlen sie ihnen nicht,
wenn sie entfremdet oder verschwunden sind, außer vielleicht, wie man ein
nützliches Gerät vermisst, das irgendwie verloren gegangen ist.
*
Anmerkung des Übersetzers: Der "Pillsbury Doughboy" war eine animierte
Comic-Figur aus Brotteig, die jahrelang in den Fernseh-Werbespots eines
Teigherstellers in den USA auftrat. Trotz vielfältiger Misshandlungen behielt
sie stets ihre Form und gute Laune.
Aus
eigennützigen Gründen heiraten Soziopathen manchmal; aber nie heiraten sie aus
Liebe. Sie können nicht wahrhaftig lieben, weder Partner noch Kinder oder auch
nur ein Haustier. Kliniker und Forscher haben angemerkt, dass Soziopathen,
wenn es um höhere Gefühle geht, vielleicht "den Text kennen, aber nicht
die Melodie". Sie müssen es erlernen, Gefühle zu zeigen, so wie Sie und
ich eine Fremdsprache erlernen müssen, also durch Beobachtung, Nachahmung und
Übung. Und ebenso wie Sie oder ich durch Übung eine Fremdsprache fließend zu beherrschen
lernen könnten, so könnte ein intelligenter Soziopath einigermaßen fließend in "emotionaler
Konversation" werden. Tatsächlich erscheint das als eine nicht sonderlich
schwierige intellektuelle Herausforderung, sehr viel einfacher als Französisch
oder Chinesisch zu lernen. Jede Person, die in der Lage ist, menschliches
Verhalten auch nur oberflächlich zu beobachten oder alte Romane zu lesen und
alte Filme anzuschauen, kann es lernen, sich romantisch zu geben oder
interessiert oder gutmütig. Fast jeder Mensch kann es lernen, "Ich liebe
dich" zu sagen oder sich verzückt zu geben und die Worte zu sprechen, "Du
meine Güte! Welch ein entzückender kleiner Welpe!" Aber nicht jeder Mensch
kann auch die Gefühle empfinden, die durch ein solches Verhalten ausgedrückt
werden. Soziopathen können es nicht.
Umwelt
Und doch
sind genetische Prädispositionen und neurobiologische Unterschiede
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