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Stout, Maria

Stout, Maria

Titel: Stout, Maria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Soziopath von nebenan
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Funktionen des erwachsenen Gehirns
zu "nutzen", um sich selbst zu organisieren. Wenn ein Elternteil
mitfühlend auf einen Säugling reagiert, werden die positiven Gefühle des
Kindes, zum Beispiel Zufriedenheit und Begeisterung, bestärkt, und seine
potenziell übermächtigen negativen Gefühle wie Frustration und Angst können
gedämpft werden. Dieses Arrangement fördert ein Gefühl der Ordnung und
Sicherheit, das schließlich im Gedächtnis des Babys verankert wird und so für
das Kind zu einer mobilen Version einer "sicheren Basis" in der Welt
wird, wie sie John Bowlby in seinem Buch Attachment and Loss ("Bindung
und Verlust") beschrieben hat. 42
    Die
Forschung zeigt, dass adäquate Bindung 43 im Säuglingsalter viele
beglückende Ergebnisse zeitigt, darunter die gesunde Entwicklung emotionaler
Selbstkontrolle, ein autobiographisches Gedächtnis und die Fähigkeit, seine
eigenen Erfahrungen und Handlungen zu reflektieren. Die frühesten Bindungen
bilden sich bis zum siebten Lebensmonat, und die meisten menschlichen Säuglinge
können sich an eine erste Bezugsperson in einer Weise binden, die diese
wichtigen Fähigkeiten entwickelt.
    Eine
Beziehungsstörung ist ein tragischer Zustand, der entsteht, wenn die
Entwicklung der Bindung im Säuglingsalter gestört wird - durch elterliche
Unfähigkeit (zum Beispiel durch eine schwere emotionale Störung der Eltern),
oder einfach, weil das Kind zu viel allein gelassen wird (zum Beispiel in einem
altmodischen Waisenhaus). Kinder und Erwachsene mit einer schweren
Beziehungsstörung, für die es unmöglich war, in den ersten sieben Lebensmonaten
eine Bindung zu entwickeln, sind unfähig, sich emotional an andere Menschen zu
binden, und somit zu einem Schicksal verdammt, das man für schlimmer als den
Tod halten könnte. In den ultra-hygienischen Waisenhäusern der Vereinigten
Staaten des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts stellte man im
Extremfall fest, dass Säuglinge, die aus Gründen aseptischer Perfektion
überhaupt nicht berührt wurden, buchstäblich dem Tode geweiht waren. Auf
rätselhafte Weise erlagen sie einem Zustand, der seinerzeit als marasmus bezeichnet
wurde, einem Wort aus dem Griechischen, das einen "fortschreitenden
Verfall der körperlichen und geistigen Kräfte" beschreibt - eine Störung,
die heute als "alimentär bedingte Dystrophie" ("nonorganic
failure to thrive") bezeichnet wird. Fast alle der unberührten Babys in
diesen Waisenhäusern starben. In den seither verstrichenen hundert Jahren
haben Entwicklungspsychologen und Kinderärzte gelernt, dass es lebenswichtig
ist, Babys im Arm zu halten, mit ihnen zu schmusen, zu sprechen und sie zu
liebkosen, und dass die Folgen herzzerreißend sind, wenn das gänzlich
unterlassen wird.
    In
Westeuropa und den Vereinigten Staaten (deren Gesellschaft ironischerweise
eine der berührungsfeindlichsten der Welt ist) sind die Trauer und das Gefühl
des Verlustes, die durch Beziehungsstörungen verursacht werden können, von
vielen Familien unmittelbar erlebt worden, als in den frühen Neunzigerjahren in
einer Welle des Mitgefühls der vielfache Wunsch entstand, rumänische
Waisenkinder zu adoptieren. Als 1989 das kommunistische Regime in Rumänien
gestürzt wurde, gelangten grauenhafte Fotos aus hunderten von Waisenhäusern,
deren Existenz unter dem psychopathischen Diktator Nicolae Ceausescu
geheimgehalten worden war, an die Weltöffentlichkeit. Unter seinem Regime war
Rumänien ein Land lebensbedrohlicher Armut, und trotzdem hatte Ceausescu sowohl
Abtreibung als auch Verhütung verboten. 44 Die Folge waren
Hunderttausende verhungernder Kinder, und fast 100.000 Waisenkinder endeten in
staatlichen Anstalten.
    Insgesamt
war das Verhältnis von Waisenkindern zu Betreuern in diesen Waisenhäusern
ungefähr 40 zu 1. Die Lebensbedingungen waren abenteuerlich unhygienisch;
abgesehen von einer Ernährung, die gerade ausreichte, um die meisten von ihnen
am Leben zu erhalten, wurden diese Babys und Kinder völlig vernachlässigt.
    Die
barmherzigste Lösung schien eine Adoption möglichst vieler dieser Kinder durch
gut situierte Ausländer zu sein. Wohlmeinende Westeuropäer und Nordamerikaner
nahmen rumänische Babys mit nach Hause und versuchten liebevoll, sie wieder
aufzupäppeln. Und bald stellte ein Paar in Paris fest, dass seine wunderschöne,
zehn Monate alte rumänische Tochter nicht zu trösten war und nur umso lauter
schrie, wenn sie versuchten, sie auf den Arm zu nehmen. 45 Oder ein
Paar in Vancouver

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