Stout, Maria
normaler Menschen
Wörter, die sich auf Emotionen beziehen, im Vergleich zu emotional neutralen
Wörtern bevorzugt beachten, erinnern und erkennen. Liebe wird
schneller als ein Wort erkannt als sehen und löst
im Gehirn ein höheres evoziertes Potenzial aus, als ob der Informationsgehalt
von Liebe ursprünglicher und wichtiger sei
als der von sehen.
Das gilt
aber nicht für soziopathische Probanden, die anhand von
Sprachverarbeitungsaufgaben untersucht wurden. In Hinsicht auf Reaktionszeit
und evozierte Potenziale haben soziopathische Probanden auf emotional geladene
Wörter nicht anders reagiert als auf neutrale Wörter. Bei Soziopathen ist das
evozierte Potenzial für Schluchzen oder Kuss nicht
größer als das für bar oder Liste, als ob
emotionale Wörter nicht wichtiger oder tiefer in ihren Gehirnen eingeprägt
seien als beliebige andere Wörter.
Bei
ähnlichen Untersuchungen 40 unter Verwendung der "Single-Photon
Emission-Computed Tomography" (SPECT), einem bildgebenden Verfahren der
Hirnforschung, zeigten Soziopathen im Vergleich zu anderen Probanden eine
verstärkte Durchblutung der Schläfenlappen, wenn ihnen eine Auswahlaufgabe mit
emotionalen Wörtern gestellt wurde. Eine solche verstärkte Durchblutung der
Schläfenlappen könnte bei Ihnen oder mir auftreten, wenn wir ein nicht völlig
triviales intellektuelles Problem zu lösen hätten. Mit anderen Worten: Bei dem
Versuch, eine Aufgabe mit emotionalen Wörtern zu lösen, haben Soziopathen
physiologisch mehr oder weniger so reagiert, als wären sie aufgefordert worden,
eine Rechenaufgabe zu lösen.
Insgesamt
lassen solche Studien erkennen, dass mit Soziopathie eine abnorme Verarbeitung
emotionaler Stimuli in der Großhirnrinde einhergeht. Der Grund für diese
abweichenden Prozesse ist noch nicht bekannt, aber er ist wahrscheinlich das
Ergebnis eines erblichen Unterschiedes der neurologischen Entwicklung, der
durch Einflüsse von Erziehung oder Kultur leicht abgemildert oder deutlich
verschlimmert werden kann. Diese Abweichung der neurologischen Entwicklung ist
zumindest teilweise für den bislang noch nicht ausgeloteten psychologischen
Unterschied zwischen Soziopathen und allen anderen Menschen verantwortlich, und
seine Implikationen sind alarmierend. Soziopathie ist mehr als das schlichte
Fehlen eines Gewissens, was für sich genommen schon tragisch genug wäre.
Soziopathie ist die Unfähigkeit, emotionale Erlebnisse wie Liebe und Fürsorge
zu verarbeiten, es sei denn, ein solches Erlebnis kann kühl als eine
intellektuelle Aufgabe kalkuliert werden.
Ebenso wie
das Gewissen nicht nur die Präsenz von Schuldgefühl und Reue ist, sondern auf
unserer Fähigkeit basiert, Gefühle und die daraus resultierenden Bindungen zu
empfinden, ist Soziopathie nicht nur das Fehlen von Schuldgefühl und Reue.
Soziopathie ist eine Störung der Fähigkeit, echte (nicht-berechnende)
emotionale Erlebnisse zu haben und zu würdigen und somit echte
(nicht-berechnende) Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen zu können. Um die
Sachlage etwas prägnanter und vielleicht unbequem deutlich auszudrücken: Keine
Moral zu haben, zeigt einen tiefergehenden Zustand an, ebenso wie das Vorhandensein
eines Gewissens, denn das Gewissen existiert nie ohne die Fähigkeit zu lieben,
und Soziopathie basiert letztlich auf Lieblosigkeit.
Ein
Soziopath ist ein Mensch, der "sich nicht an gesellschaftliche Normen
hält", "niemals monogam" ist oder "finanzielle Verpflichtungen
missachtet", weil jegliche Verpflichtung aus einem Gefühl erwächst, das
man für ein Wesen empfindet, das einem emotional etwas bedeutet. Und einem
Soziopathen bedeuten seine Mitmenschen eben nichts.
Soziopathie
ist im Kern ihres Wesens eiskalt wie eine leidenschaftslose Schachpartie. In
dieser Hinsicht unterscheidet sie sich von gewöhnlicher Verlogenheit,
Narzissmus und sogar Gewalttätigkeit, die oft mit Leidenschaft erfüllt sind.
Wenn es sein muss, würden die meisten Menschen lügen, um einem Angehörigen das
Leben zu retten, und es ist fast schon ein Klischee, dass ein gewalttätiges
Bandenmitglied (womöglich im Gegensatz zu seinem soziopathischen Anführer) für
seine Kumpane durchaus Loyalität und Wärme empfinden kann sowie Zärtlichkeit
für seine Mutter und Geschwister. Aber für Skip hat, selbst als Kind, nie ein
anderer Mensch etwas bedeutet; Dr. Littlefield empfand keine Anteilnahme für
ihre Patienten, und Luke konnte selbst seine Frau oder sein eigenes Kind nicht
lieben. Für solche Gemüter sind
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