Stout, Maria
ihn, ihm das
Medikament billiger oder auf Kredit zu verkaufen. Aber der Drogist antwortet: "Nein,
ich habe die Droge entdeckt will damit Geld verdienen." Heinz verzweifelt.
Er bricht in den Laden des Drogisten ein und stiehlt die Droge für seine Frau.
Durfte Heinz das tun?
Kohlberg
interessierte sich vorrangig weniger für das Ja oder Nein der Antworten der
Kinder auf die Frage "Durfte Heinz das tun?", als vielmehr für ihre
zu der jeweiligen Antwort führende Argumentation, die er protokollierte. Auf
der Basis seiner zahlreichen Interviews kam er zu dem Ergebnis, dass Kinder
einer universellen Route von Eigeninteresse zu prinzipiengesteuertem Verhalten
folgen, die als ein dreistufiges Modell der Moralentwicklung beschrieben
werden kann. Die drei Stufen der Moralentwicklung erfordern zunehmend komplexe
und abstrakte Denk muster, wobei jede
Stufe die vorangegangene ersetzt, während das Kind kognitiv heranreift.
Nach
Kohlbergs Theorie der Moralentwicklung argumentieren Kinder zwischen sieben und
zehn Jahren auf der "präkonventionellen Stufe", auf der sie sich der
Autorität von Erwachsenen unterordnen und Regeln ausschließlich auf der Basis
ihrer Erwartungen von Strafe und Belohnung befolgen. Kohlberg hielt die
präkonventionelle Argumentation kleiner Kinder für im Wesentlichen "prämoralisch".
Die typische "prämoralische" Antwort auf Heinz' Dilemma wäre: "Nein,
Heinz hätte das nicht tun sollen, weil er nun bestraft werden wird."
Im Alter
ab etwa zehn Jahren beginnen Kinder, auf der "konventionellen Stufe"
der Moral zu argumentieren (konventionell im Sinne der Gesellschaft), auf der
ihr Verhalten durch die Ansichten anderer und dem Bedürfnis nach Konformität
bestimmt wird. Auf dieser Stufe wird die Unterordnung unter Autoritäten zu
einem Wert an sich, ohne Bezug zu unmittelbaren Belohnungen oder Strafen oder
übergeordneten Prinzipien. Kohlberg war der Meinung, dass mit dem Erreichen
des dreizehnten Lebensjahres die meisten moralischen Fragen auf der konventionellen
Stufe beantwortet sind. Die konventionelle Argumentation zu Heinz' Diebstahl
wäre: "Nein, er hätte die Droge nicht stehlen sollen. Diebstahl verstößt
gegen das Gesetz, das weiß doch jeder."
Im Laufe
des Heranwachsens entwickeln sich einige wenige Menschen laut Kohlberg über die
konventionelle Stufe hinaus auf die dritte und höchste Stufe, die er "postkonventionelle
Moral" genannt hat. Diese dritte Stufe erfordert es, dass das Individuum
abstrakte moralische Prinzipien formuliert und nach ihnen handelt, um sein
Gewissen zufrieden zu stellen, anstatt die Zustimmung anderer zu erstreben.
Auf der postkonventionellen Stufe lässt die moralische Abwägung die konkreten
Regeln der Gesellschaft hinter sich; das Individuum hat inzwischen erkannt,
dass diese Regeln ohnehin häufig im Widerspruch zueinander stehen. Seine
Abwägung wird stattdessen von flexiblen, abstrakten Konzepten wie Freiheit,
Würde, Gerechtigkeit und der Achtung für das Leben geleitet. Im Falle von Heinz
könnte eine Person, die auf der postkonventionellen Stufe argumentiert,
durchaus darauf bestehen, dass menschliches Leben wertvoller sei als Geld und
dass der Schutz des Lebens ein moralisches Gebot sei, das vor dem
gesellschaftlichen Verbot des Diebstahls Vorrang habe. ("Ja, das ist ein
schwieriges Problem, aber es ist verständlich, dass Heinz die lebensrettende Droge
gestohlen hat, die ihm der Drogist aus Gründen des Geldes vorenthalten hat.")
Kohlberg
meinte, dass die meisten Menschen die Stufe der postkonventionellen moralischen
Abwägung nicht vollständig erreichen, auch als Erwachsene nicht; denn als er
ältere Knaben und junge Männer für seine Studien interviewte, fand er, dass
weniger als 10 Prozent eindeutig auf der dritten Stufe argumentierten. Als
eine Fußnote möchte ich hier anmerken, dass diese Meinung von Kohlberg, sollte
sie denn zutreffen, helfen könnte, den befremdlichen Umstand zu erklären, dass
die öffentliche Empörung über die vorstehend erwähnten reichen Pharmakonzerne
sich in sehr engen Grenzen hält. Vielleicht neigen die meisten Menschen,
insbesondere US-Amerikaner, dazu, die Eigentumsansprüche des Drogisten zu
akzeptieren: "Ich habe die Droge entdeckt und will damit Geld verdienen."
Die Achtung des Eigentums vor allen anderen Aspekten einer Situation ist ein
Merkmal konventioneller moralischer Abwägung - zumindest unter in Nordamerika
aufgewachsenen Männern.
Geschlecht und Kultur
Welcher
Faktor wird von Kohlbergs Modell
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