Sträflingskarneval
sank. Aufgrund seines Zustandes war es ihm unmöglich, sich in dem eisigen Wasser zu bewegen. Ryan sah sich nach Kimberly um, die offensichtlich in ernsten Schwierigkeiten steckte. Duncan, der noch nie ein guter Schwimmer gewesen war, krallte sich angsterfüllt an ihr fest, wobei er sie immer wieder unter Wasser drückte. Von irgendwoher hörte er Ophelia etwas rufen, verstand sie aber nicht. Zu allem Übel war auch der Hubschrauber wieder über ihren Köpfen aufgetaucht, Schüsse wurden abgefeuert und die Kugeln schlugen nur wenige Zentimeter von Ryans Kopf entfernt in die Wasseroberfläche ein.
„Taucht unter!“, schrie er aus Leibeskräften den anderen zu, dann holte er tief Luft und tauchte ab, bevor die nächste Salve ihn treffen konnte. Doch kaum war er unter Wasser, vernahm er ein seltsam gedämpftes Krachen und Sekunden später wurde er von einem starken Sog erfasst und nach unten gezogen. Wie von Sinnen strampelte er mit Armen und Beinen und kam trotzdem nicht von der Stelle. Nackte Panik bemächtigte sich seiner, und er glaubte schon, ertrinken zu müssen, als plötzlich zwei kräftige Arme nach ihm griffen und ihn nach oben zerrten. Prustend brach er durch die Wasseroberfläche und sah in das Gesicht eines Matrosen, der ihn festhielt. Rundherum herrschte das pure Chaos.
„Ryan, kommen Sie“, rief Ophelia Buckley, die soeben Kimberly half, welche sich schwerfällig am Schiffsgeländer nach oben zog, unterstützt von einem weiteren Matrosen.
Ryan beeilte sich und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass nun auch Aidan eine Strickleiter emporkletterte. Dieses Bild verlieh ihm eine ungeheure Kraft, und kurz darauf kam auch er keuchend auf dem Deck an, nass, zitternd und mit seinen Kräften am Ende. Als er sich im nächsten Moment umdrehte, stach ihm das ganze Ausmaß des Angriffs ins Auge und ihm wurde übel. Im Wasser trieben Trümmerhaufen des anscheinend abgeschossenen Hubschraubers, die langsam in den schwarzen Fluten versanken, von der Besatzung fehlte jede Spur.
„Den alten Göttern sei Dank“, sagte Ophelia erleichtert und schloss Ryan in die Arme. „Ich dachte schon, wir hätten euch für immer verloren. Als ihr Llŷr erreicht habt, war das Peilsignal plötzlich verschwunden und wir haben schon das Schlimmste befürchtet.“
„Heißt das …“, schnaufte Ryan und spürte, wie sie ihm eine warme Decke über die Schultern legte, „… wir sind in Sicherheit?“ Sein Blick wanderte dabei zu einigen Matrosen, die Schnellschusswaffen in den Händen hielten.
„Sobald wir die Küste erreichen.“
„Ich hatte in meinem Leben noch nie so einen aufregenden Tag“, flüsterte Aidan ihm wenig später ins Ohr und griff nach seiner Hand.
„Es geht noch schlimmer, glaub’s mir“, lächelte Ryan zufrieden und erwiderte den Händedruck mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl.
- 16 -
Es ist, wie es ist
Am nächsten Morgen erwachten sie erschöpft und mit schmerzenden Gliedern in ihren Betten. Dass draußen die Sonne schien und wohlige Herbsttemperaturen den Westen Irlands von seiner schönsten Seite präsentierte, nahmen sie nur am Rande wahr. Ihre aufregende Flucht und ihr Beinahetod machten sie alle sehr nachdenklich.
Nachdem sie am vergangenen Abend sicher aus dem Meer gerettet worden waren, hatte das große Segelschiff eine Stunde später die Küste erreicht. Von dort war die Gruppe augenblicklich mit Ophelias dunkelgrünem Mercedes Vito in ihr Versteck nach Castlebar zurückgekehrt. Während der Fahrt wurden sie von Ophelia darüber informiert, dass sie nun alle vom Orden gesucht wurden, und dass Duncan als verräterischer Spion deklariert wurde.
Diese schlechten Nachrichten verblassten jedoch beim Anblick der herzzerreißenden Wiedersehensfreude der Familie McGrath. Rossalyn erdrückte ihren Sohn beinahe vor Liebe, sie hielt ihn so fest umschlungen, dass er kaum noch Luft bekam. Ihren über alles geliebten Ehemann schloss Rossalyn behutsam in eine tiefe Umarmung und wich von diesem Moment an nicht mehr von seiner Seite, selbst dann nicht, als man den völlig entkräfteten Lawren ins Schlafzimmer trug. Ophelia und Kendra verschwanden mit allerlei Taschen im Gepäck ebenfalls dort hinein und wurden bis spät in die Nacht nicht mehr gesehen.
Nach einem kurzen, kaum erholsamen Schlaf versammelten sich die Flüchtlinge um den großen Esstisch in der Küche. Lawren saß an der Stirnseite, genau Ophelia Buckley gegenüber. Zu seiner linken saß seine Frau und zu seiner rechten Aidan, neben
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