Sträflingskarneval
wie Aidans schmallippiges Lächeln, denn damit hatte sie ihn überrumpelt. Er schien sich über ihre aufrichtige Anteilnahme wirklich zu freuen. „Niemand hat auch nur annähernd das Recht so etwas zu tun. An der Sache bist du unschuldig und …“
„Aber Merriweather hat recht“, unterbrach Aidan sie jäh. In seiner Stimme lag jedoch keine Überheblichkeit oder Arroganz wie früher, lediglich Ruhe und Offenheit. „Ich bin schuld, dass die Formori überhaupt hierher kamen. Ich habe ihnen geholfen … aber … aber ich hatte doch ...“
„Vor uns musst du dich nicht rechtfertigen“, unterbrach Kimberly ihn. „An den Dingen kann niemand mehr etwas ändern. Außerdem kennen Ryan und ich die Wahrheit. Bei uns stehst du nicht vor Gericht.“
„Nach deiner Verhandlung haben wir mit deiner Mutter gesprochen“, fügte Ryan hinzu.
„Wie geht es ihr? Wo ist sie?“ Aidan wirkte plötzlich sehr nervös.
„Den Umständen entsprechend gut“, bedeutete Ryan und sah ihm wieder direkt in die Augen, in denen sich die Liebe zu seiner Mutter widerspiegelten – und die Sorge um sie. „Sie wohnt jetzt bei deiner Tante.“
„Tante Kendra?“ Aidan war ehrlich überrascht.
„Ja“, bestätigte Kimberly. „Und wir haben deiner Mutter versprochen, ein Auge auf dich zu haben.“
„Und sie hat uns von der Originalschrift des Gesetzes erzählt“, meinte Ryan leise und hörte im Hintergrund seine aufgebrachte Lehrerin schnauben. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit.
„Meine Mutter hat … WAS ?“
„Sie hat uns alles erzählt … alles was wir wissen sollen“, fuhr Ryan fort. „Was Hinthrone getan hat und gerade tut, ist falsch und ungerecht. Genauso, wie dich …“
„Versuchen Sie es doch“, gellte Peter Smiths zornige Stimme zu ihnen herüber und schreckte die drei jungen Leute auf. Ryan, Kimberly und Aidan fuhren herum und blickten zu dem Aufseher, der Schulleiterin und dem Hausverwalter, die kurz vor einer Explosion standen.
„Das werde ich, darauf können Sie sich verlassen und jetzt verschwinden Sie von hier! Ich will Sie heute nicht mehr sehen“, maßregelte Ophelia Buckley Smith nachdrücklich.
„Damit kommen Sie niemals durch, ich bekomme immer noch meine Befehle von ganz oben“, antwortete der Aufseher empört. „Beschweren Sie sich so viel Sie wollen, die Antwort wird die gleiche bleiben. Und geben Sie Ihren Schülern mal eine anständige Tracht Prügel, bevor sie noch mal unschuldige Leute einfach angreifen. Das hat noch ein Nachspiel, darauf können Sie sich gefasst machen.“
„Das glaub’ ich kaum“, erwiderte die Schulleiterin und strahlte plötzlich eine ungeheuerliche Ruhe aus.
„Wir sehen uns.“ Peter Smith grinste sein teuflisches Grinsen, wandte sich ab und kam mit großen Schritten auf Aidan zu.
Ryan und Kimberly schafften es gerade noch in letzter Sekunde aufzustehen und zur Seite zu springen. Aidan wurde von Smiths starkem Oberarm grob auf die Füße gezerrt und stand wackelig auf beiden Beinen. Die nackte Panik im Hinblick auf das, was passieren würde, wenn Wachmann und Sträfling endlich alleine waren, ließ ihn erzittern.
„Mach schon, du stinkender Köter“, blaffte Peter Smith, packte ihn am Handgelenk und schleifte ihn hinter sich her, ohne auf die anderen zu achten. Aidan stolperte ihm mehr schlecht als recht hinterher. Einzig und allein das Grauen vor der Bestrafung beherrschte nun sein Denken.
Ryan und Kimberly ballten die Hände zu Fäusten und wären ihnen am liebsten nachgerannt. Doch sie wussten auch, dass diese Aktion hoffnungslos wäre, und blieben an Ort und Stelle stehen.
„Was wird er jetzt wohl mit ihm machen?“, fragte Ryan tonlos, er verstand die Welt einfach nicht mehr. An mögliche Konsequenzen für Aidan wegen seines Verhaltens hatte er in seiner Impulsivität gar nicht gedacht.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Kimberly und zuckte mit den Schultern. „Aber eines weiß ich: ich habe Angst.“
„Ich auch“, seufzte er und ergriff ihre Hand.
*
Zwei Wochen waren seit dem katastrophalen Nachmittag vergangen. Inzwischen hatte der Herbst mit kalten Sturmböen und Regen Einzug in Irland gehalten. Das Laub färbte sich rot und golden; und auch die Temperaturen fielen von Tag zu Tag weiter ab. Heute war ein außergewöhnlich milder Samstagnachmittag, denn die Sonne schien. Doch Ryan konnte diesen Tag nicht wirklich genießen.
Immer wieder dachte er an den Zwischenfall mit Aidan und Zebediah zurück und fragte sich, wie es Aidan wohl
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