Sträflingskarneval
zu hieven. Er legte seinen freien starken Arm um den dünnen Oberkörper, sodass der Sträfling bewegungsunfähig war. Das einsatzbereite Messer lag jetzt an Aidans Kehle, der völlig verängstigt erstarrt war und keinen Mucks von sich gab. „Na, bist du bereit, diese Kakerlake zu beschützen?“, meinte Zebediah bissig lächelnd und ähnelte auf erschreckende Weise Peter Smith.
Ryan erkannte die nackte Angst in Aidans Gesicht. „Verdammt, Merriweather … hör sofort auf damit. Das kann ja kaum dein Ernst sein.“
„Jetzt redest du Scheiße, Tavish.“ Er lachte und fuhr mit der Klinge langsam und oberflächlich einige Zentimeter über die dünne Haut am Hals seines wehrlosen Opfers. Augenblicklich zeichnete sich eine rote Linie ab und Aidans Körper begann zu beben. Er biss sich vor Schmerz und Todesangst auf die Unterlippe in der Gewissheit in den nächsten Minuten sein Leben für immer auszuhauchen, während ihm Tränen in die Augen schossen und er sie schloss.
Ryan überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Sein Mitschüler schien zu allem bereit, und das machte ihn nicht nur gefährlicher, sondern unberechenbar. Aus den Augenwinkeln nahm er gleichzeitig wahr, dass die fünf halbstarken Jungen ihren offensichtlich verrückt gewordenen Freund im Stich ließen, denn sie stürmten davon.
Behutsam machte Ryan kleine Schritte nach vorne und wollte versuchen Zebediah abzulenken, um den Abstand zwischen ihnen zu verringern. Er improvisierte und hoffte sehnlichst auf Hilfe, oder wenigstens auf einen rettenden Geistesblitz.
„Zebediah …“, begann er auf ihn einzureden und kam immer näher. „Wenn du schon unbedingt deine Rache haben musst, fändest du es dann nicht besser, wenn deine Kumpels dich anfeuern?“
„Das geht ja wohl schlecht.“ Zebediah schnaubte verärgert und schaute seinen Freunden hinterher. „Das sind Feiglinge. Feiglinge braucht niemand. Sollen sie nur abhauen, sie werden sehen, was sie davon haben.“
Diese Antwort überraschte Ryan. Trotzdem musste er etwas unternehmen, und zwar jetzt. Aber was? Fiebrig dachte er nach, aber ihm wollte einfach nichts einfallen.
„Weißt du, Tavish“, meinte Zebediah plötzlich fröhlich und fuchtelte mit dem Messer wild vor Aidans Gesicht herum. „Wenn ich so nachdenke, reichst du mir als Zeuge völlig aus, wenn ich diesem verweichlichten Arschloch das gebe, was er schon längst verdient hat. Nicht mal seine verlogene Mami wird um den eine Träne vergießen. Und wenn ich mit ihm fertig bin, bist du dran!“
In den nächsten Augenblicken ging alles sehr schnell; und doch kam es Ryan vor wie in Zeitlupe. Zebediah hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, als Ryan mit dem Ast, den er wie einen Speer hielt, nach vorne sprang und ihn seinem Mitschüler heftig gegen die Brust rammte. Anschließend schrammte er seitlich an dessen Bauch vorbei und riss ihm dabei das Hemd auf.
Zebediah war jedoch weniger überrascht über den unerwarteten Angriff, als Ryan gedacht hatte. Er stand fest mit beiden Beinen da, drehte Aidan zu sich herum und rammte ihm die scharfe Klinge in die linke Seite. Es folgte ein gequälter Schmerzensschrei, dann krümmte Aidan sich zusammen und presste seine Hand auf die blutende Wunde.
Geschockt riss Ryan die Augen auf. Er hoffte, dass Aidan nicht allzu schwer oder gar lebensgefährlich verletzt war. Bevor er sich jedoch um ihn kümmern konnte, musste er Zebediah außer Gefecht setzten. In einer einzigen, fließenden Bewegung holte er aus und zielte mit dem provisorischen Astspeer auf Zebediahs Kopf. Er traf ihn mitten auf die Stirn. Zebediah ließ schwankend das Messer fallen, torkelte und kippte schließlich mit dem Gesicht nach vorne auf das steinige Ufer. Offenbar hatte er das Bewusstsein verloren, denn er bewegte sich zwar nicht mehr, atmete aber noch.
Mit zwei großen Schritten war Ryan bei Aidan, schleuderte den Ast fort, beugte sich zu ihm herab und hielt ihn mit beiden Armen fest, um ihn zu stützen. Der Anblick des aus der Wunde strömenden Blutes verschlug ihm den Atem. „Aidan!“, stieß Ryan keuchend hervor. „Aidan, wo hat er dich erwischt? Warte, ich bringe dich ins Haus. Bleib ruhig, ja?“
„Ich … ich … tut …“, ächzte Aidan und hustete und stöhnte, als er von einer gewaltigen Schmerzenswelle erfasst wurde. Er begann haltlos zu zittern und spürte sein warmes Blut durch seine Finger rinnen, die er fest auf die Stichwunde drückte. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, ihm war eiskalt und von
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