Sträflingskarneval
stattfand.
Als Ryan nach dem Hauptgang Plumpudding mit Brandysauce und Sahne serviert bekam, hatte er schon keinen richtigen Hunger mehr. Aber nicht etwa, weil er satt war, sondern weil ein recht merkwürdiges Gefühl bereits vor einer halben Stunde von ihm Besitz ergriffen hatte. Er wusste nicht, aber sein Blick wanderte immer wieder unbewusst zu Aidan hinüber, der ihm gegenüber saß und sich fröhlich mit den drei Frauen unterhielt. Offensichtlich schien dieser nichts davon zu bemerken, was Ryan ganz recht war. Er verstand nicht, warum er es einfach nicht schaffte, die Augen von Aidan zu lassen; jedes Mal, wenn er es zu verhindern versuchte, zerbröckelte seine Willenskraft wie morsches Holz zwischen seinen Fingern. Fasziniert stierte er auf Aidans schmale Lippen. Sie wirkten so zart. Sie besaßen eine schier magische Anziehungskraft auf ihn, und für einen winzigen Moment stellte er sich vor, wie er diese Lippen mit seinen liebkoste. In seiner Vorstellung schmeckten sie süßer als Honig und waren …
„Ryan?“, fragte Aidan, als er dessen abwesenden Blick spürte. „Was ist los?“
Erschrocken schaute er zu Aidan. Er hatte etwas bemerkt! Ryans Herz raste und es dauerte viel zu lange, bis er den Rhythmus auf einen beruhigenden Level zurückgebracht hatte. Schließlich starrte er auf seinen Teller mit dem Plumpudding und wurde rot im Gesicht. Er fühlte sich nicht nur ertappt, sondern er konnte auch deutlich ein seltsam leichtes Kribbeln im Bauch spüren. Unbewusst schielte er wieder zu Aidan.
Dieser schaute mit einem leicht besorgten Lächeln und glänzend rauchgrauen Augen zurück. „Was ist denn los mit dir? Hat dir das Essen nicht geschmeckt?“
„Ähm … doch, warum?“, antwortete Ryan wenig geistreich.
„Weiß nicht“, meinte Aidan verlegen. „Du hast mich nur eben angestarrt und sahst aus, als würdest du mit offenen Augen träumen.“
„Ähm … nein“, versuchte Ryan sorglos zu klingen, nahm schief grinsend den Löffel in die Hand und probierte vom Nachtisch.
Die anderen warfen sich wissende Blicke zu und setzten ihre Unterhaltung fort, als wäre nichts gewesen.
Doch nach nur zwei Stunden mussten sich die Schwestern notgedrungen und viel zu früh wieder verabschieden, zum größten Leidwesen von Rossalyn. Noch vor Mitternacht mussten sie in Clifden sein, bevor den Spionen von Bartholemeus Hinthrone, die er vor dem Schulbeginn dorthin beordert hatte, ihr Verschwinden auffiel. Zwar hatten Rossalyn und Kendra im Haus alles gut getarnt, damit es aussah, als wären sie den ganzen Abend über zu Hause, doch irgendwann würde es selbst jedem noch so unfähigen Spion auffallen, dass sich niemand im Haus aufhielt.
Rossalyn hätte ihren Sohn am liebsten mitgenommen, aber dank sanften Zuredens ihrer älteren Schwester ging sie schließlich gefasst und ohne Aidan davon. Selbst Ryan, Kimberly und Kendra tat es von Herzen leid. Aber schließlich wartete das Boot, welches beide an die Küste bringen würde, schon am Anlegesteg.
*
Als Ryan am nächsten Morgen die Augen öffnete, nahm er sofort den Duft von Zimt wahr. Um ihn herum schien die Wintersonne durch die Fenster und die Erinnerung an gestern Abend kehrte zurück. Er befand sich immer noch im umgestalteten Geschichtsraum, wo Aidan und er sich nach dem Abschied von Rossalyn und Kendra bis weit nach Mitternacht noch unterhalten hatten und dann einfach auf dem Sofa eingeschlafen waren.
Er hörte leises und gleichmäßiges Atmen. Vorsichtig hob Ryan seinen Kopf und Oberkörper ein Stück an und sah an sich herunter. Er lag der Länge nach auf dem weichen Polster, Aidan halb neben ihm, halb auf ihm, die Arme um Ryans Brust geschlungen, das Gesicht an seiner Halsbeuge vergraben, die Augen geschlossen. Behutsam legte er sich wieder zurück, um ihn nicht aufzuwecken, während seine Gedanken auf eine seltsame Reise gingen.
Es fühlte sich unglaublich gut an, mit Aidan hier zu liegen, sein Körper strahlte eine angenehme Wärme aus und seine unbewusste Umarmung hatte eine ganz besondere Wirkung auf Ryan. Sein Herz schlug schneller und er sog den wunderbaren Duft, der von Aidans warmer Haut ausging, genüsslich ein. Ein ungewohnter und doch bekannter Duft, den er vorher niemals so intensiv wahrgenommen hatte. Geistesabwesend streichelte er durch die blonden Haare und seine aufgewühlte Gefühlswelt stand plötzlich Kopf. Genau wie beim Abendessen wollte er Aidans zarte Lippen küssen, wobei das wachsende Kribbeln im Bauch seinen Körper in
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