Sträflingskarneval
er Ryan verstohlen einen liebevollen Blick zu und freute sich, ihn zu sehen. Er hatte erst zum Mittagessen mit ihm gerechnet und dann war auch noch Gillean bei ihm. Beide wirkten jedoch irgendwie geknickt.
„Ihr seht aus, als würde die Welt gleich untergehen“, stellte Aidan fest, als sie vor ihm stehen blieben.
„Vielleicht. Wir müssen mit dir reden, alleine“, antwortete Gillean und deutete zu Aidans Schlafkammer.
„Ähm … okay, ich sage nur schnell Mrs. Clark Bescheid.“
Zu dritt traten sie in die umfunktionierte Vorratskammer. Ryan setzte sich mit Aidan aufs Bett, Gillean nahm an dem kleinen Tisch Platz. Skeptisch musterte Aidan kurz darauf den Brief, den Ryan ihm aushändigte. Für einen Moment huschte ein Lächeln über sein Gesicht, denn er erkannte Kendras Handschrift, aber schon einen Moment später wurde er zusehends ernster. Sein Blick flog hastig über die geschriebenen Zeilen, bis er das Papier auf den Boden fallen ließ und ins Leere starrte.
„Aidan?“, fragte Gillean. „Geht’s dir gut?“
„Ja“, erklärte Aidan schlicht.
„Bist du dir auch ganz sicher?“, erkundigte sich Ryan, der mit einer ganz anderen Reaktion gerechnet hatte.
„Ja.“
„Wirklich?“ Irritiert schaute Ryan zu Gillean, der jedoch so aussah, als hätte er das vorausgesehen.
„Ja, wirklich“, erklärte Aidan eindrücklicher. „Mir geht es gut. Ich bin nur froh, dass Mum bei Tante Kendra ist, ihr wird es bestimmt nicht gut gehen.“
Ryan schluckte unwillkürlich. „Verzeih mir, aber…. dein Vater ist gestorben und du nimmst das ... einfach so hin?“ Er hatte zwar Lawren McGrath nie ausstehen können und dieser hatte auch nicht unschuldig in Llŷr gesessen, aber trotzdem war er verwirrt.
Aidan gab darauf keine Antwort. „Meint ihr, sie haben ihn zu Tode gefoltert?“, fragte er stattdessen überraschend und fixierte Gillean.
Ryan saß sprachlos da und lauschte aufmerksam.
„Wenn du mich fragst … dann ja“, gab Gillean sträubend zu. „Darin sind Hinthrones Männer bestimmt nicht anders als die Mörder der Datla Temelos oder andere skrupellose Killer.“
„Stimmt!“ Aidan nickte und für einen Sekundenbruchteil glaubte Ryan, ihn zusammenzucken zu sehen. Doch als wäre nichts gewesen, fuhr er einfach fort. „Jetzt steht also endgültig fest, dass mein Vater seine Geheimnisse mit ins Grab genommen hat. Nur meine Mum weiß noch von dem Wächterring – ihr ausgeschlossen – aber sie wird von Hinthrones Spionen überwacht. Und deine Mutter …“, er sah Gillean an und schluckte die nächsten Worte runter, während dieser die Hände zu Fäusten ballte. Seit er wusste, dass seine Mutter angeblich nicht eines natürlichen Todes gestorben war, hatte er an ihren Mördern Rache geschworen. „Hinthrone hat jetzt zwei Leute auf dem Gewissen“, sprach Aidan weiter. „Aber was soll ich tun? Alles totschweigen? Mein Dad hat vor der ganzen Sache immer wieder darauf bestanden, dass ich das Geheimnis bewahren muss, aber ich kenne es ja nicht einmal. Und dann kam plötzlich Ramon MacDermot und hat meinen Vater unter Druck gesetzt. Bei ihm hatte ich von Anfang an ein schlechtes Gefühl. Wie er einen angeschaut hat, lief es einem kalt den Rücken runter. Und von da an ging alles schief. Trotzdem ergibt alles für mich keinen Sinn. Ich verstehe nicht, was das überhaupt soll.“
„Und ob es Sinn macht“, erwiderte Gillean, der sich wieder etwas gefasst hatte.
„Was willst du damit sagen?“ Aidan war plötzlich interessiert, ebenso wie Ryan.
„Es ist so …“, begann Gillean und dämpfte seine Stimme. „Die Freundschaft zwischen Rossalyn und meiner Mutter war quasi ein offenes Geheimnis. Kannst du dich noch an den Besuch deiner Mum bei uns erinnern, Aidan? Kurz nach den Ostertagen war das. An dem Tag war sie doch so komisch, da muss sie von dem Wächterring erfahren haben, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Nur wenig später fand dann der Angriff auf Omey Island statt. Und jetzt stellt euch vor, Ramon MacDermot hätte jetzt ebenfalls von dem Wächterring erfahren …“
„Halt mal!“, unterbrach ihn Ryan. „Darum geht es aber doch nicht, oder?“ Dabei sah er verwirrt zwischen Aidan und Gillean hin und her.
„Doch, aber nur am Rand“, antwortete Gillean. „Also noch mal von vorne. Die Datla Temelos unter der Führung von MacDermot wollten nicht nur den Orden einkassieren, auflösen … oder was immer wirklich ihre Absicht war. Ich glaube, sie haben von diesem Gesetzestext gewusst und
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