Sträflingskarneval
angefasst.“
„Miss Callahan hat recht“, bestätigte Ophelia ernst und musterte Ryan mit einem Ausdruck, den er nicht zu deuten wusste. Doch er war einfach noch viel zu wütend und ignorierte geflissentlich seine Freunde bis auf Aidan, den er an der Hand nahm. „Sie können von Glück reden“, fuhr die Schulleiterin streng fort, „wenn er Sie nicht beim Großmeister anschwärzt, aber hoffen wir erst einmal das Beste. Bisher scheint er solche Dinge immer für sich zu behalten. Er hat einfach eine große Klappe. Aber beim nächsten Mal reißen Sie sich zusammen, verstanden? Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Ich kann nicht die ganze Zeit in ihrer Nähe sein. Sie sind jetzt volljährig und was sie tun, könnte wirklich unangenehme Folgen nach sich ziehen.”
Ryan hatte schweigend zugehört und versuchte seinen brodelnden Zorn im Zaum zuhalten. Es war alles so verdammt unfair. „Dann soll er mich verpetzen, von dem lasse ich mich garantiert NICHT einschüchtern!“
„Bitte, Mr. Tavish“, sagte Mrs. Buckley, diesmal mit flehendem Unterton. „Denken Sie auch an Ihre Freunde. Bevor sie weiter vor Wut kochen, muss ich Ihnen noch etwas mit auf den Weg geben. Erst vor zwei Tagen habe ich etwas erfahren, dass ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Josh, einer der Küchengehilfen …“, dabei schaute sie Aidan an, der wissend nickte, „… hat Mr. Smith gegenüber ausgeplaudert, dass sie beide nicht nur befreundet, sondern auch intim miteinander sind.“
„Was?“ Ryans Wut schoss von einer Skala von Null bis Zehn auf eine Zwanzig, gemischt mit dem unguten Gefühl, ertappt worden zu sein.
„Es ist leider wahr. Deswegen hat er Sie wohl auch eben damit aufgestachelt.“ Ophelia Buckley machte eine Pause und wirkte plötzlich niedergeschlagen. Ihr Blick ruhte nun auf Aidan. „Das Schlimme ist, dass er noch andere Details gegenüber Mr. Smith erwähnte, darunter die Weihnachtsfeier. Zuerst dachte ich, Bartholemeus würde Ihren Umzug deswegen sofort stoppen, aber das hat er nicht getan. Vielleicht kam er deswegen aber auf die Idee, dieses Schwein Smith auf Sie anzusetzen.“
„Ist es denn wirklich schlimm, wenn der Großmeister von Ryan und mir weiß?“ Aidan zitterte zwar leicht, doch Ryans Nähe gab ihm Kraft.
„Eine berechtigte Frage“, gab Ophelia Buckley zu. „Das ist das, was wir … was ich nicht weiß. Bartholemeus ist in letzter Zeit zu viel gelungen. Sein Einfluss unter den Mitgliedern wächst rasant. Er hat nicht nur das alte Gesetz im Orden wieder eingeführt, sondern auch Llŷr gefährlicher werden lassen. Das Problem ist, ich traue ihm mittlerweile alles zu. Er ist längst nicht mehr der Mann, den ich von früher kenne. Damals war er ein überzeugtes Mitglied des Ordens; und jetzt will er Colins Andenken zerstören. Manchmal habe ich dabei das merkwürdige Gefühl, als würde im Schatten ein Puppenspieler stehen und die Fäden ziehen, als wäre er selbst nur eine Marionette. Als wäre er plötzlich ein Sympathisant der Formori, was absolut abwegig ist.“
Die Schulleiterin brach ab und kämpfte plötzlich gegen Empfindungen an, die sie tief in sich verborgen hielt. Nur wenige ausgesuchte Menschen um sie herum wussten davon. Schließlich seufzte sie und konzentrierte sich auf das Wesentliche. „Bedenken sie bitte“, sagte sie eindringlich. „Er hat keine Skrupel, ihnen beiden etwas anzuhängen, damit er ihre Freundschaft zerstören kann. Je weniger Nahrung er bekommt, desto besser für uns alle.“
Während sie die letzten Worte aussprach, verstärkten Ryan und Aidan ihren ohnehin festen Händedruck. Eigenartigerweise kam es ihnen so vor, als würde Ophelia Buckley die ganze Zeit von Ramon MacDermot und nicht von dem Großmeister reden. Dieser Gedanke war jedoch absurd.
„Also ist es besser, wenn niemand von uns weiß“, schloss Ryan nachdenklich. Seine innere Wut richtete sich wieder auf Bartholemeus Hinthrone.
Die Schulleiterin nickte. „Ich werde mich jetzt auf den Rückweg machen. Sie können mich jederzeit telefonisch erreichen.“ Damit verabschiedete sie sich und kehrte mit einem mulmigen Bauchgefühl zurück nach Omey Island.
Auch Ryan, Aidan, Kimberly und Gillean hatten plötzlich ein mulmiges Gefühl, aber keiner sprach es laut aus. Schließlich beschlossen sie, sich abzulenken und ihren Einzug zu feiern.
- 10 -
Aidans Geburtstag und andere Wahrheiten
Zuerst hörte Aidan im Halbschlaf nur ein leises Poltern. Er ignorierte es, drehte sich zur Seite und zog die
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