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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Robin, »und die Antwort interessiert dich nicht die Bohne.«
    Kennedy seufzte übertrieben. »Ich bin ein grauenhafter Vater, stimmt’s?«
    Mit einem Kippeln der ausgestreckten Hand signalisierte ihm seine Tochter: fifty-fifty. Sie lachten.
    »Andererseits machst du einen ganz vernünftigen Eindruck, Robin. Du scheinst mir recht glücklich zu sein.«
    »Ja. Das bin ich wohl. Ich meine, zumindest verglichen mit einigen meiner Freunde …«
    »Dass deine Mum und ich uns getrennt haben, hat dich offenbar nicht allzu sehr aus der Bahn geworfen.«
    Von Mensch zu Mensch gereichtes Leid
    Türmt sich bald auf wie Felsgestein.
    Drum steige aus zur rechten Zeit,
    Und zeug bloß keine Kinderlein.
    Gerry.
    »Ich kann mich kaum noch an die Zeit erinnern, als ihr zusammen gewesen seid«, sagte Robin nachdenklich, »schon eher irgendwie daran …« – hier hob sie einen Finger, um seinem erwartungsgemäß anstehenden Tadel für die nachlässige Verwendung des Wortes »irgendwie« als Füllwort vorzugreifen – »… dass manchmal, wenn ich Freunde besucht habe, beide Elternteile da waren und man gemeinsam zu Abend gegessen hat. Da habe ich gelegentlich schon mal gedacht, dass es schön wäre, wenn zu Hause zwei Menschen auf mich warten würden. Wie bei allen anderen auch.«
    »Du musst mich gehasst haben.«
    »Ich habe dich nie gehasst, Dad. Ich hab dich bloß … na ja, ich habe dich vermisst .«
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis diese Worte den exzellenten Beaujolais in ihrer vollen Tragweite überwunden und sein Herz durchbohrt hatten. Kennedy Marrs Herz. Welch frostige Kammer! Verruchte Pumpe! Grausamer Ventrikel!
    Was hatte er getan? Indem er seine Liebe im Alleingang vor die Wand gesetzt hatte, war es ihm gelungen, auch die Liebe der einzigen Person zu lädieren, die ihm von allen Menschen die wichtigste sein sollte. Das Leiden aller Scheidungskinder: der Wunsch, die Trennung rückgängig zu machen. Würde Robin sich mit der Liebe einmal schwertun? Damit, dem Monster zu vertrauen? Oder würde sie allzu leichtfertig lieben? Oder würde das alles keine Rolle spielen?
    Kellner schwebten lautlos durch die gedämpfte Geschäftigkeit des Gourmettempels. In ihrer Nähe quietschte ein Korken und löste sich dann mit einem ploppenden Geräusch aus der Flasche.
    Meine Kinder sind mir im Leben das Allerwichtigste.
    Es war leicht, sich das Resultat auszumalen, würde Kennedy versuchen, diesen Aphorismus halbwegs glaubwürdig nachzusprechen: eine Rolle voller Outtakes. Eine Sondersendung von Pleiten, Pech und Pannen voller Versprecher, ungeplanter Lacher und »Cut!«-Rufe. Das Allerwichtigste in seinem Leben war es gewesen, allein in einem Zimmer zu sitzen und sich Sachen auszudenken. »Die Schauspieler und den Prospekt hab ich gesehn, nicht jene Dinge, für die beide bildlich stehn.«
    »Jetzt mach doch nicht so ein trauriges Gesicht«, sagte Robin. »Alles ist gut. So sehr habe ich dich jetzt auch wieder nicht vermisst.«
    Sie lachten beide. Kennedy bemerkte, wie angenehm es war, etwas Zeit mit seiner Tochter zu verbringen, mit ihr zu lachen. Er hätte das viel öfter machen sollen. Sehr viel öfter. Was soll ich dir sagen, Kennedy? Du hast es verpasst. Er spürte, wie die Reue in ihm hochkroch, sich in der ewig langen Warteschlange in seinem Kopf hinten anstellte. Er dachte an dieses alte »Labour’s Not Working«-Poster, das in den Siebzigern so populär war. Und daran, dass sein Schmerzkatalog allmählich aus allen Nähten zu platzen drohte.

dreiundvierzig
    Kennedy näherte sich der Stationstür. Wenn er sie erst einmal geöffnet hatte, gab es kein Zurück mehr. Eine Schwester oder sein Bruder würde ihn sehen, ihn freudig begrüßen, ihn zum Bett seiner Mutter führen, und die Sache wäre gelaufen. Einen Augenblick lang wurde der Drang, auf dem Absatz kehrtzumachen und davonzulaufen, überwältigend. Nichts wie raus hier, zurück nach Dublin, im Shelbourne oder im Clarence einchecken und die Minibar plündern. Oder ohne Umweg zum Flughafen und zurück nach Heathrow. Oder von Shannon gleich nach New York fliegen und von da weiter nach Los Angeles.
    Sie musste ihn noch einmal sehen, bevor sie sterben konnte. Aber er war ja hier. Also, Kennedy, stell dich deiner Angst und fass dir ein Herz. Er stieß die Tür auf und betrat die Station.
    Der Krankenhausgeruch: Tod, übertüncht vom anästhetischen Mief der Desinfektionsmittel und Medikamente. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden kam er bereits zum zweiten Mal in den zweifelhaften

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