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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Dezemberluft. Er befand sich hoch oben an der rechten Ecke des Gebäudes. Wenn er nach rechts blickte, sah er auf der Regent Street, die sich gen Süden in Richtung Piccadilly Circus schlängelte, die Weihnachtsbeleuchtung blinken und glitzern. Zu seiner Linken, gleich auf der anderen Straßenseite, erhob sich der prächtige Bau des von Nash entworfenen Sendezentrums – dieses kolossalen, von Scheinwerfern hell beleuchteten Schiffes auf See, dessen Masten und Antennen hoch in den Himmel hinaufragten. Dort drüben, gleich ein paar Schritte das kleine Sträßchen runter, lag All Souls Place, eine enge Sackgasse, wo – und warum musste er sich ausgerechnet jetzt daran erinnern? – Millie und er ein winziges Zimmer gemietet hatten, als sie kurz nach seinem Uni-Abschluss nach London gezogen waren. Das war zwanzig Jahre her. Ein halbes Leben. Sie …
    Ich weiß noch, wie sie den Ring abgenommen hat. Ihn zwischen uns auf den Tisch gelegt hat. Ganz langsam und bedächtig. Statt ihn wütend nach mir zu werfen. Ich frage mich, wie oft sie diese Geste vorher im Kopf durchgegangen ist.
    Ein Klingeln ertönte. Kennedy ging zur Tür. Der Zimmerservice rollte einen Servierwagen herein, auf dem sich Essen und Getränke stapelten. Große, einheimische Austern lagen auf einer glitzernden Platte voller Eis. Die dunkelgrüne Flasche Dom Perignon mit ihrem weißen Serviettenkragen steckte in einem Eimer aus getriebenem Silber; dicke Garnelen und grüne Salatblätter in Marie-Rose-Soße schwammen in riesigen Stielgläsern. Die Gläser der drei Martinis waren geeist und mit kleinen Papierdeckeln bedeckt. Kennedy griff sich einen davon und nahm einen tiefen Schluck. Der Kellner verzog keine Miene.
    »Möchten Sie, dass ich den Champagner öffne, Sir?«
    »Nein danke, das mach ich schon selbst. Bitte sehr.« Er stopfte eine Handvoll Banknoten in die Brusttasche des Mannes. »Frohe Festtage.«
    »Vielen Dank, Sir.«
    »Keine Ursache.«
    Kennedy leerte den Martini, warf eine Valium ein und trank den zweiten Cocktail draußen auf dem Balkon, seinen Mantel eng um die Schultern gezogen. Er zündete sich eine Zigarette an. Hatte Gerry sich auch so gut gefühlt, als es auf das Ende zuging? Nachdem die Entscheidung endgültig gefallen war? Wo war er gedanklich noch mal gewesen, bevor der Zimmerservice geklingelt hatte? Ah ja: das winzige Einzimmerapartment auf der anderen Straßenseite, im Sommer des Jahres 1993. Wie lange hatten sie dort gewohnt? Zwei Jahre? Nein, drei. Sie waren ausgezogen, nachdem Millies Eltern ihnen Geld für eine Anzahlung auf die kleine Wohnung in Maida Vale gegeben hatten. Denn Millie war …
    Ja. Robin. Sie war hier gezeugt worden. In dieser kleinen Bude hinter der BBC. Sie waren damals noch nicht verheiratet gewesen, aber »wir hatten viel Spaß beim Anfertigen, und der Hurensohn muss halt anerkannt werden«.
    Viel Spaß beim Anfertigen – dieser aberwitzige Moment, wenn einer von hundert Millionen besessenen Schwimmern sich aus dem Feld löst und mit einem letzten Sprint die Ziellinie überquert. Wenn er in der Sonne des Eies explodiert, eine Kettenreaktion in Gang setzt, wie das Uran, das in einem Atomreaktor mit Neutronen beschossen wird. Nur dass dieser Schwimmer statt einer Kernspaltung das Abspulen der DNS auslöste. Dass er das Gegenteil des Todes auslöste, wobei bereits eine Miniatur von Robins winzigem Gesichtchen in den sich teilenden Zellen kodiert war. O Baby, es tut mir leid. Kein Mensch hat darum gebeten, geboren zu werden. Das Leben ist unfair, bring dich um oder finde dich damit ab. Nichts als Phrasen. Kennedy erhob sein Glas in Richtung der kleinen Wohnung und auf das Wohl seiner Tochter. Er leerte den Martini und öffnete die Flasche Dom Pérignon, wobei der Korken quer durch den hohen Raum schoss. Er schenkte sich ein Glas ein und quetschte dann eine halbe, in Musselin gekleidete Zitrone über der Platte mit den Austern aus. Verteilte ein paar Spritzer Tabasco. Gott, waren die gut. Er schlürfte fünf oder sechs der Schalentiere hintereinander weg und spülte sie mit großen Schlucken kalten Champagners hinunter. »Gut zu leben ist die beste Rache.«
    »Rache wofür?«, hatte Robin ihn einmal gefragt, vor ein paar Jahren, als sie mit zwölf oder dreizehn bei ihm in Los Angeles zu Besuch gewesen war. Er hatte die Worte gesagt, während sie irgendein üppiges Mahl in sich hineinschaufelten.
    »Wofür?«, hatte Kennedy wiederholt und dann geantwortet: »In erster Linie für diesen schrecklichen

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