Straight White Male: Roman (German Edition)
einen doppelten Whisky und warf im Spiegel hinter der Bar einen kurzen, prüfenden Blick auf den psychedelisch gefärbten Bluterguss um sein Auge. Den Whisky kippte er hinunter, kaum dass er vor ihm stand. Danach bestellte er sich einen weiteren und trug seine Drinks zu einem leeren Ecktisch.
Abgesehen vom Schreiben gab es eigentlich nichts, was Kennedy sonderlich ernst nahm. Das war ihm sein Leben lang von allen möglichen Menschen vorgeworfen worden: von Lehrern, Dozenten, seinen Exfreundinnen und Exfrauen. Aber diese Sache würde er nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie erforderte ernsthafte Überlegung. Klares Denken. Um klar zu schreiben, muss man klar denken. Das macht es so schwer.
Er nahm einen großen Schluck Bier und starrte auf den Schritt seiner Hose. Der Mistkerl saß da unten. Was tat er da? Er brachte ihn um. Doch so ernst die Angelegenheit auch war, der Schriftsteller ihn ihm konnte gar nicht anders, als darin den bitteren Witz, die rasend komische Obszönität der Grausamkeit des Universums zu erkennen. Er hatte einen Großteil seines Lebens nach dem Diktat dieses albernen Hautsacks mit dem kleinen Rüssel daran ausgerichtet. Vielen, vielen Frauen hatte er im Dienst seiner Bedürfnisse auf barbarischste und profundeste Art wehgetan. Endlich traf dieser so oft missbrauchte Begriff einmal wirklich zu: Ironie.
Beaufort hatte es nicht an Einfühlungsvermögen mangeln lassen – »Sie haben mein aufrichtiges Mitgefühl. Ich weiß, das muss ein schwerer Schlag für Sie sein, aber ich denke, dass ich Ihnen mit Schönfärberei keinen Gefallen täte, also schildere ich Ihnen, was Sie im schlimmsten Fall erwartet« –, bevor er ihm ein erstaunliches Spektrum an Obszönitäten um die Ohren gehauen hatte: »Onkologie«, »Malignom«, »Überlebensrate« und zu guter Letzt und offenbar unvermeidlich das hässliche Wort »Operation«.
Der Doktor hatte ihm ein Rezept ausgestellt. Für zwanzig Valium. Um ihm »über die kommenden Nächte zu helfen«.
Junge, aber dafür hatten sie auch wirklich gute Zeiten miteinander gehabt, nicht wahr? Sogar hier, in diesem Pub, damals in den Neunzigern, gleich nach der Veröffentlichung von Undenkbar . Er war von Radio 4 interviewt worden. Nach der Sendung waren sie noch auf einen Drink hierhergekommen. Da war diese süße kleine Sendeleiterin gewesen. Da drüben auf der Toilette hatten sie losgelegt und es später in einem Hotelzimmer im Langham weitergetrieben. An den Höhepunkt konnte er sich immer noch erinnern. Gott, wie hieß die Kleine gleich? Kennedy fiel der Name nicht mehr ein, aber in welchem Bogen er abgespritzt hatte, das hätte er noch im Detail beschreiben können. Nie wieder, nie wieder, nie wieder.
»Das hängt ganz davon ab, was bei der Operation gefunden wird. Die Lage des Malignoms ist recht unglücklich, so nah an der Wurzel. Was das schlimmstenfalls bedeutet?«
Er trank das Bier aus und registrierte, dass sein Whiskyglas ebenfalls leer war. Er konnte sich nicht mehr erinnern, es überhaupt getrunken zu haben. Kennedy ging zur Bar und bestellte dasselbe noch mal. Sollte es, konnte es möglich sein, dass der Diagnose positive Aspekte abzugewinnen waren? Seine Befreiung aus den Klauen der Lust? Die endgültige Trennung von der Sexmaschine? Mehr Gelassenheit womöglich? Vielleicht sogar Weisheit? Würde ihm gar der Frieden gewährt werden, jene Bücher zu schreiben, von denen er spürte, dass er sie noch in sich hatte? Den größten Teil von zwei Bieren und fünf Whiskys intus, malte sich Kennedy sein zukünftiges Leben aus. Es würde zurückgezogen, vielleicht sogar mönchisch sein. Amüsiert würde er das Fieber und die Leidenschaften der Menschen beobachten. Von der hohen Warte seines sexfreien Elfenbeinturms aus würde er auf ihre irrwitzigen Schachzüge und Manöver herabschauen – sein Kriegselefant längst erschlagen und begraben. Wenn YouPorn, Tube Galore und Red Tube an der Börse gehandelt würden, dann wäre ihm sogar das Vergnügen gegönnt, voller Genugtuung miterleben zu dürfen, wie ihre Kurse einbrachen und die Preise ins Bodenlose stürzten.
»Leider steht zu befürchten, dass wir nur wenige Zentimeter retten können. Womöglich gerade genug, um zumindest die Urinierfunktion weiterhin zu gewährleisten.«
Entmannt. Eine Erdnuss. Ein Pinkelpickel.
Noch ein Bier und zwei weitere Whiskys später hatte er seine zukünftige Situation aus allen erdenklichen Blickwinkeln betrachtet sowie sämtliche Strategien und Reaktionen geprüft. Er
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