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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Affront, geboren worden zu sein.«
    Er blickte auf die Uhr: Viertel nach sechs. Er hatte noch einiges zu erledigen.
    Kennedy nahm den Champagner – er trank jetzt direkt aus der Flasche – und einen der Krabbencocktails mit zum Sekretär. Er zog einen Stapel Hotelbriefbögen aus der Schublade und machte sich daran, fünf Briefe zu schreiben: jeweils einen an Robin, Millie, Vicky, Patrick und zuletzt Connie. Letzterer beschränkte sich im Grunde auf eine Handvoll Anweisungen rein praktischer Natur und sehr einfach zu Papier zu bringen. Im Gegensatz zu dem Brief an seine Tochter: ein Festival des Schmerzes und der Tränen. Um halb acht war er fertig und die Flasche Dom Perignon leer. Kennedy schluckte eine weitere Valium. Schon bald würde er all seinen Mut zusammennehmen müssen. Es stand außer Frage, dass er dabei chemische Unterstützung brauchte. Kennedy war sich bewusst, dass man dann eigentlich nicht von Mut, sondern allenfalls von Besinnungslosigkeit sprechen konnte. Aber was tat das schon zur Sache. Er bestellte beim Zimmerservice eine weitere Flasche.
    Kurz darauf platzierte er die Briefe und ein Gedicht auf dem Sekretär und ging – zugegebenermaßen bereits ein wenig wackelig auf den Beinen – zurück auf den Balkon, wo er eine Zigarette rauchte und beobachtete, wie die vier Mäuler der U-Bahn-Station am Oxford Circus im steten Wechsel Menschentrauben ausspuckten und verschluckten. Die Farben der Wintermäntel – rot und grün und blau und weiß – leuchteten im hellen Schein der Schaufenster. »London ist ein gefährliches Pflaster. Ein sehr gefährliches Pflaster, Mr. Shadrack. Da kann man den Boden unter den Füßen verlieren. Unter den Füßen … verlieren. Unter den Fü-hü-hüßen ver-lie-ren!« Sich noch einmal in den Trubel dieser Stadt stürzen. Eine sentimentale Reise in die Vergangenheit unternehmen. Leben und lieben. Irgendetwas tun, wofür man sich später vielleicht geschämt hätte. Die Türklingel ertönte. Der Champagner. Also los, noch ein paar Drinks, und dann bringen wir die Sache ins Rollen.
    Er trat hinaus in die eiskalte Luft des Portland Place, drückte dem Portier noch einen Zwanziger in die Hand, bog rechts in die Regent Street ein und ging Richtung Süden. Er zog seinen Mantel noch enger um sich und mischte sich unter die braven Hauptstädter, umhüllt von einer Aura des Wohlgefühls, einem gepanzerten Anzug aus Pillen und edlem Schaumwein. O ja, London, du bist schon in Ordnung. Bist du wirklich. Ich hätte dich nicht verlassen sollen. Wir hätten das schon irgendwie geregelt bekommen. Es war nicht deine Schuld, sondern meine.
    Auf der Oxford – »Trying to find a friend in Oxford Street«, hatten The Jam gesungen – ging er links, überquerte die Straße und bog in die Argyll ein, um das Gedränge auf diesem Abschnitt der Regent zu vermeiden. O Mann, sogar bei Selbstgesprächen kürzte er die Straßennamen ab. Los Angeles hatte sich wirklich in seine DNS gebrannt. Sofort umwehte ihn der Duft von chinesischem Essen und den Maronen, die an den Straßenständen verkauft wurden. Das Aroma von Glutamat, Nudeln und gerösteten Kastanien erfüllte die Luft. Ah, da vorn rechts war die Kneipe, nach der er gesucht hatte: The Duke of Argyll. Ein ganz normales Durchschnittspub, in dem das ganz normale Durchschnittsleben – das ganz normale Dezemberdurchschnittsleben – tobte: An der Bar versuchten sich die Amateure aus den umliegenden Büros mit Weihnachtsmannmützen auf dem Kopf als Geschichtenerzähler. Wann war er zuletzt hier gewesen? Vielleicht irgendwann Mitte der Neunziger? Jedenfalls bevor er aufgehört hatte, ein normales Durchschnittsleben zu führen. Bevor sein Leben abnormal wurde und nur noch aus Privatclubs, Chauffeurservice und Michelin-Sternen bestand. Nun, ein kleiner Whisky konnte jetzt nicht schaden, oder? Wie sehr wir doch den Tod verabscheuen, diejenigen unter uns, die schreiben und kreieren. Und mit welcher Inbrunst wir seine größten Gegner in die Arme schließen: Trinken, Gesellschaft, Lachen, Leben.
    Er trat durch die Tür in die Enge, die Hitze und den Lärm hinein. Aus den Boxen tönte »Christmas Wrapping« von The Waitresses. Schwitzend und mit roten Gesichtern grölten alle durcheinander – die Zeit der Betriebsfeiern. Kennedy ergatterte eine der in die Bar eingelassenen Sitznischen.
    »Einen großen … was haben Sie denn im Angebot … einen Laphroiag?«
    Der Barkeeper schüttelte den Kopf, blickte zu den Flaschen hinauf und fragte:

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