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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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richtig viel Zeit. Vielleicht sollten wir …«
    »Es geht ihr wirklich nicht gut, Kennedy.«
    »Ach, komm schon. Das mag ja sein, aber das hören wir nun weiß Gott nicht zum ersten Mal.« Schon nach wenigen Momenten des Gesprächs mit seinem Bruder wurde Kennedys Akzent deutlich härter.
    »Ich erzähl doch hier keinen Mist.«
    »Ich ruf sie an. Morgen. Versprochen. Ich hatte nur einfach … verdammt viel um die Ohren.«
    »Du musst herkommen und Mum besuchen.«
    »Das werd ich. Ganz bestimmt. Aber die nächsten paar Monate ist hier die Hölle los.«
    »Hör mal, ich weiß, du hast nicht die Möglichkeit, dich um sie zu kümmern. Das ist in Ordnung. Ich mache das für uns beide. Ich fahre sie ins Krankenhaus. Ich erledige ihre Einkäufe. Ich sehe nachts nach ihr und tue, was immer gerade nötig ist. Aber du musst herkommen und sie besuchen.«
    »Ich hab’s kapiert, Patrick. Ich bin nun mal gerade mitten in der Vorproduktion für diesen verdammten Film und …«
    »Kennedy, sie …«
    »… ich werde wegen Vertragsbruch verklagt, wenn ich nicht rechtzeitig …«
    »Kennedy?«
    »… bis Mitte des …«
    » KENNEDY! «
    »Was?«
    »Sie wiegt nur noch achtunddreißig Kilo.«
    Stille.
    »O Gott. Verdammte Scheiße.«
    »Sie wollte nicht, dass ich es dir gegenüber erwähne, weil, und jetzt pass auf« – Patrick lachte kurz und hart auf – »sie meinte, weil dein Job so wichtig ist.«
    Achtunddreißig Kilogramm? Wann hatte er sie zuletzt gesehen? Vor etwa einem Jahr? Als er drüben war, um Robin zu besuchen? Kam das hin?
    »Egal. Jetzt weißt du Bescheid.«
    »Na gut. In Ordnung. Ich ruf sie morgen früh an.«
    »Sie ist diese Woche ziemlich durch den Wind, weißt du. Wegen …«
    »Schon klar. Wegen Gerrys Geburtstag. Ich weiß. Tut mir leid, Patrick. Ich hätte anrufen sollen. Ich bin einfach ein Arsch.«
    »Tja. So viel steht mal fest.«
    »Hör zu, da hat sich was ergeben. Das ist alles noch nicht in trockenen Tüchern. Aber wie es aussieht, werde ich vielleicht für einige Zeit zurück nach England gehen. Gegen Ende des Sommers. Ich wäre also in eurer Nähe. Dann könnte ich rüberkommen und etwas Zeit mit ihr verbringen. Ich meine, sie wird doch nicht …«
    »Ich denke nicht. Sie ist eine Kämpfernatur.«
    »Und ich rufe sie an.«
    »Na gut. Ist bei dir denn alles okay?«
    »Ich kann nicht klagen.«
    »Wohin soll’s denn gehen?«
    »Was?«
    »Du sagtest, du bist gerade auf dem Sprung.« So war sein Bruder: Er hörte tatsächlich zu, wenn ihm jemand etwas erzählte. Patrick war wirklich ein bemerkenswerter Mensch.
    »Ach so, ich hab diese dämliche Verabredung zum Essen. Mit so einem Schauspieler. Michael Curzon.«
    »Wirklich? Ist das nicht der aus dem Film mit der Zeitmaschine und so?«
    »Genau der.«
    »Dann mal viel Erfolg.«
    »Es tut mir wirklich leid, Patrick.«
    » Absolvo te. Und pass auf dich auf, Kennedy.«
    »Du auch. Liebe Grüße an Anne und die Kids.«
    Kennedy legte auf und blieb eine Weile auf der Bettkante sitzen – in Boxershorts, das Hemd offen, das Glas voller Eiswürfel in der rechten Hand. Patrick. Der Jüngste von ihnen. Noch nicht mal vierzig und schon seit gut fünfzehn Jahren mit derselben Frau verheiratet. Fast genauso lang im selben Job. Drei Kinder. Er lebte in einem kleinen Häuschen außerhalb von Dublin und fuhr jeden Tag mit der Bahn in die Stadt, um dann den Bus ins Büro zu nehmen. O ja, einen Bus. Einen beschissenen Bus . Etwas, was Kennedy sich nicht einmal im Traum vorstellen konnte. Als Sozialarbeiter hatte Patrick hauptsächlich mit älteren Teenagern aus den sozialen Brennpunkten Dublins zu tun – eine Erfahrung, die ihm im Umgang mit Kennedy zugutekam. Er half ihnen bei der Wohnungssuche. Ihren Problemen mit Drogen, Alkohol und sexuellem Missbrauch. Ihrem unerfüllten Wunsch nach Bildung. Tagtäglich musste er sich die allerschlimmsten Dinge anhören, die Menschen einander antun konnten. Von Kids, die vergewaltigt, geschlagen und auf die Straße gesetzt worden waren. Von jungen Mädchen, die mit achtzehn Jahren noch nicht lesen und schreiben konnten, aber bereits zwei oder drei Kinder hatten. Von kleinen Jungs, deren Eltern beide im Knast saßen. Tag für Tag und Jahr für Jahr riss Patrick für kleines Geld endlose Überstunden ab, ohne sich je zu beschweren. Kennedy hätte den Pitch für Schlampen vermutlich in fünfundvierzig Minuten runtergeschrieben und für diesen Schrott einen Scheck eingesackt, der das Jahreseinkommen seines Bruders um ein Vielfaches

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