Straight White Male: Roman (German Edition)
da – ein seliges Grinsen auf dem Gesicht.
Der schwarze Anzug hat in der Tat viele Vorteile, dachte er kurz darauf, als er zum Hinterausgang des Buchladens schlich. Allen voran die Eigenschaft, es einem Mann zu ermöglichen, sich vor aller Öffentlichkeit relativ unbemerkt in die Hose zu pinkeln.
siebzehn
Die schwach leuchtenden Zeiger des kleinen Weckers sagten ihr, dass es Viertel nach fünf am Morgen war. Wenn sie nach fünf aufwachte, war das für Kathleen dieser Tage eine durchgeschlafene Nacht. Sie hatte nie besonders viel Schlaf gebraucht – im Gegensatz zu ihrem Rory, dessen Tod jetzt zwanzig Jahre zurücklag. Kennedy kam ganz nach ihr, immer blieb er bis in die Puppen auf. Patrick war mehr nach seinem Dad geraten. So wie Geraldine.
Mit einem leisen Stöhnen setzte Kathleen sich im Bett auf. Ihr Rücken hatte sich nach Gerrys Geburt nie mehr so richtig erholt, das Mädchen war damals schon verdammt widerspenstig gewesen. Sie knipste die Nachttischlampe auf dem Sideboard an, das ihr als Kommode diente. Eine der vielen Eigenheiten ihres seltsamen Schlafzimmers. Dies war das letzte Mal, dass sie in Patricks Esszimmer aufwachen sollte, das in den letzten paar Monaten ihr Zuhause gewesen war. Ihr Koffer stand gepackt vor dem Sideboard, daneben eine Tragetasche mit Zahnbürste, Hausschuhen und Toilettenartikeln, die Patrick für sie gekauft hatte. So ein lieber Junge. Nicht alle ihre Kinder waren wie er. Kathleen empfand bei diesem Gedanken keinerlei Bitterkeit. Jedes von ihnen war anders. Sie hatten unterschiedliche Gaben. Ihr Patrick war ein Kümmerer. Man brauchte sich nur seinen Job anzusehen. Was er mit diesen armen zurückgebliebenen Kindern durchmachen musste.
Sie sah sich die gerahmten Bilder auf ihrem improvisierten Nachttisch an, all die Fotos, die sie von zu Hause mitgebracht hatte. Eins mit der ganzen Familie, aufgenommen Mitte der Achtziger am Hafen von Kilrush. Die Sonne schien, aber Kennedy, damals vielleicht sechzehn oder siebzehn, war schon komplett in Schwarz gekleidet. Geraldine war höchstens vierzehn oder fünfzehn. Der mürrische Blick, mit dem sie aus ihrem Trainingsanzug guckte, war vermutlich das Ergebnis eines vorangegangenen Streits. Der kleine Patrick dürfte so zehn oder elf gewesen sein, noch ein richtiges Kind, und strahlte übers ganze Gesicht. Er war immer schon der Pflegeleichteste von ihrem Haufen gewesen. Sie und Rory saßen hinter den Kindern auf dem Mäuerchen am Ufer des Atlantiks. Daneben stand ein weiteres Foto von Kennedy, erst vor ein paar Jahren aufgenommen – er posierte auf dem roten Teppich irgendeiner Filmpremiere. Er lachte, zeigte auf irgendjemanden und hatte seine zweite Frau Vicky im Arm. Was für ein wunderschönes Mädchen. Kathleen hatte sie nur einmal getroffen, bei einem Abendessen in Dublin, in diesem Hotel, das den Jungs von U2 gehörte. The Clarence, hieß es nicht so? Kennedy war dort abgestiegen. Das Essen hatte vermutlich länger gedauert als die ganze gottverdammte Ehe der beiden. Er hätte bei Millie bleiben sollen. Kathleen hatte Millie immer gemocht. Es gab auch Fotos von ihren Enkeln: Robin, mit drei oder vier, auf Kennedys Schultern, irgendwo an einem Strand. Beide trugen Sonnenbrillen. Die drei Racker von Patrick, wie sie zu Weihnachten ihre Geschenke auspackten. Ganz vorn stand ein Bild von Gerry. Sie lachte darauf. Es war ein Party-Schnappschuss. Kathleen hatte es zwischen Gerrys Sachen gefunden. Danach. Sie wusste nicht, wessen Party das war oder was dort gefeiert wurde. Aber sie mochte das Foto, denn es war das einzige, auf dem ihre Tochter lächelte. Sie hielt eine Dose Cider in der Hand, und man konnte die Schnitte und Blutergüsse an ihrem Handgelenk sehen. Oh Gerry. Zehn Jahre war das jetzt her. Sie wäre diese Woche zweiundvierzig geworden. Rory wäre jetzt neunundsiebzig. Es war schwer, sich das vorzustellen.
Während draußen die Morgendämmerung westwärts kroch, sich von England her über das Meer heranpirschte, hielt Kathleen Marr in ihrem improvisierten Schlafzimmer einen Augenblick lang stille Zwiesprache mit ihren lieben Toten. Sie fragte sich, ob Patrick wohl schon mit Kennedy gesprochen hatte. Sie musste ihn sehen. Er konnte schon ein richtiger Mistkerl sein. Aber ihr war auch klar, wie viel der Junge zu tun hatte, wie hart er arbeiten musste und wie teuer die Flüge waren. Er würde sie sicher bald besuchen kommen.
Sie hörte, wie oben die Toilettenspülung betätigt wurde. Patrick stand auf und machte sich fertig,
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