Straight White Male: Roman (German Edition)
beim Umtrunk nach der Arbeit, hatte es sie denn nie einen Tick zu lange angelächelt? Oder passierte ihnen das alles, und diese Kerle sagten einfach: »Tut mir leid, ich würde ja gerne, aber ich bin verheiratet …«? Hatten sie einfach aufgehört, genauer hinzusehen?
Natürlich hatten sie das nicht. Das sagte ihm seine Erfahrung. Mit vierzig saßen sie alle in der Bar – beim Klassentreffen, beim Angelausflug, beim Junggesellenabschied – und verkündeten: »Gott, hat die einen Arsch/Vorbau/Mund.« Das Verlangen war immer noch da, nur der Wille hatte nachgelassen. War daran die statistisch gesehen recht hohe Quote an Zurückweisungen schuld? Oder die Angst vor Repressalien: das Haus, die Alimente, die Kinder und all das? Oder lag der Grund dafür womöglich – und Kennedy kam dieser merkwürdige, befremdliche Gedanke zuallerletzt – in der aufrichtigen Liebe des geliebten Partners?
Wie die Poesie erforderte auch die Monogamie einen ganzen Mann. O ja. Einen wirklich harten Kerl.
Als das Anschnallzeichen erloschen war, reichte ihm die Stewardess – im Grunde ein in Livree gestopftes Model – ein neues Glas, und er schaute aus dem Fenster. Die Maschine drehte nach rechts ab und folgte dem Küstenverlauf nach Norden Richtung San Francisco, bevor sie landeinwärts flog, um die riesige, vom Wahnsinn regierte Landmasse zwischen dem zivilisierten Osten und Westen der USA zu überqueren.
Er nahm einen beherzten Schluck Champagner und lehnte sich zurück, um die Speisekarte zu begutachten: Käse-Mousse mit Spargel und Zitrone … gebratenes Perlhuhn an Saubohnen, Süßkartoffeln und Portweinjus … Seezungenfilet mit Flusskrebsen, Zitrone und brauner Kapernbutter …
An jenem Abend, der das endgültige Aus ihrer Beziehung markierte, hatte Millie Fisch gekocht, Eintopf oder Tajine. Sie hatte nicht geweint. Ihr Vorrat an Tränen war erschöpft gewesen. Einfach nur sehr, sehr wütend, nutzte sie die argumentativen und analytischen Fähigkeiten, denen sie ihren Doktorgrad zu verdanken hatte, um ihm zu Leibe zu rücken. Was waren noch gleich ihre Worte gewesen, so grausam und doch so wahr? Er hatte betrunken am Kühlschrank gelehnt, ein randvolles Glas Rioja in der Hand, und zum wiederholten Mal in dieser Auseinandersetzung »Aber ich brauche dich doch!« gesagt.
Ach ja, richtig. Ihre Worte waren: »Kennedy, du brauchst überhaupt niemanden.« Sie hatte mit dem Messer in den Fisch gestochen, um zu überprüfen, ob er schon gar war – ohne ihn dabei anzusehen. »Du brauchst keine Frau, keine Geliebte und keine Partnerin. Du brauchst höchstens eine persönliche Assistentin. Alles, was für dich noch zählt, ist, dass die Züge pünktlich fahren, damit du von hier verschwinden und die ganze Zeit in deinem Studio oder sonst wo verbringen kannst.« Sie hob das Messer – eines von den Sabatier-Messern mit den schwarzen Griffen, an der Spitze der Klinge klebten kleine, weiße Kabeljaustückchen und eine dünne Olivenscheibe – und beschrieb damit einen Halbkreis, deutete auf das Haus, das Wasser, das aus den Hähnen, und den Strom, der aus den Steckdosen floss, auf die Lebensmittel in dem großen Kühlschrank aus gebürstetem Aluminium, die Autos, beide versteuert, versichert und gewartet. Auf all die Dinge, um die sie sich kümmerte. Kennedy erinnerte sich, wie sie sich einmal über die Höhe der Wasserrechnung beklagt hatte. Er hatte stirnrunzelnd von seinem Roman oder Drehbuch aufgeblickt und gefragt: »Willst du damit etwa sagen, Wasser ist nicht umsonst?« Sie hatte bloß ihre wunderschönen Augen verdreht.
»Aber …«, hatte er an jenem Abend in der Küche gesagt, war auf Millie zugegangen, um sie in den Arm zu nehmen – und wurde weggestoßen.
»Du interessierst dich einen Scheißdreck für mich oder für Robin. Alles, was dich interessiert, ist, deinen beschissenen Schwanz in irgendeine dahergelaufene Schlampe zu stecken, stimmt’s?«
Arrrgh – verschwindet, dachte er und klingelte nach der Stewardess, um von Champagner auf Bloody Mary umzusteigen. Ich hasse diese Gedanken.
Er betrachtete das Buch, das er sich als Reiselektüre mitgenommen hatte, einen dünnen Band mit Yeats’ gesammelten Gedichten. Sein Landsmann. Der gute alte William Butler. Das Foto auf dem Umschlag zeigte ihn mit fünfzig, die Haare bereits schlohweiß, eine strenge Brille auf der Nase und doch bis über beide Ohren verknallt in die junge Georgie, die gerade einmal halb so alt war wie er. Die Heirat mit ihr hatte ihn allerdings
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