Straight White Male: Roman (German Edition)
vorstellte, den Drang zu sagen: »Tut mir leid, aber ich habe noch nichts von Ihnen gelesen.« In der Regel wurde es als Entschuldigung formuliert, obwohl es natürlich nichts dergleichen war. Eher das Gegenteil. Blanker Hohn. Pure Provokation. Faktisch hieß es so viel wie: »Du magst dich ja vielleicht für einen großen Schriftsteller halten, Mr. Superautor, aber weißt du was? Hier unten, in der richtigen Welt, da scheißen wir auf deine Bücher. Ich und deine Ergüsse lesen? Pah, da weiß ich mit meiner Zeit aber Besseres anzufangen. Du kannst mir mit deinem Mist gestohlen bleiben.«
Je nachdem, wie betrunken er war, hatte Kennedy auf diese Aussage eine Palette von Antworten auf Lager. Von einem kurzen »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Ich bin überrascht, dass Sie überhaupt lesen können« bis zum eher übertriebenen »Oh, Sie haben keins meiner Bücher gelesen? Nun, um ehrlich zu sein, ich habe auch noch nie … Entschuldigung, aber was machen Sie noch gleich? Denn ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer Sie eigentlich sind. Egal. Was immer Sie machen, ich kann Ihnen versichern, ich habe noch nichts davon mitbekommen. Ich hab nie gesehen, wie Sie eine Bankfiliale leiten, mit Hedgefonds jonglieren, Autos reparieren, Restaurantkritiken schreiben, Dachsfallen aufstellen oder was auch immer Sie tun. Also belassen wir’s dabei: Sie lassen weiterhin die Finger von meinen Büchern, und ich werde mich auch künftig einen feuchten Hosenfurz dafür interessieren, was Sie so treiben. Einverstanden?«
Doch der freundliche, liebenswerte Kennedy Marr atmete tief durch und sagte: »Ach Gottchen, kein Problem.«
Dann trank Peter Arthur drei Drambuies, senkte seine Stimme und – zu diesem Zeitpunkt schien er Kennedy fälschlicherweise für seinen Reisegefährten zu halten – sagte in konspirativem Tonfall: »Dieser Obama, das ist schon ein durchtriebener Hund, was?«
Oje.
Das ging einige Zeit so weiter. Das übliche Geschwätz: »Er ist ein Sozialist, er ist ein Kommunist, er ist ein Jedi …«, »Obamacare« hier und »Steuerzahler« da. Kennedy sah zwei Möglichkeiten. Option eins: schön einen auf tolerant machen. »Mmm. Aber finden Sie nicht auch? Ah ja. Ich verstehe. Aber andererseits.« Option zwei: mal sehen, wie weit er den Kerl treiben konnte. Ebenfalls betrunken, entschied er sich dafür, in Anbetracht der Aussicht auf einen langen Flug auf Option zwei zu setzen, und kommentierte die Tirade des anderen gelegentlich mit einem »So ein Arsch«, »So ist es, mein Freund« oder »dieser Kommi-Nazi«.
»Das hab ich den Leuten schon während der Wahl gesagt«, polterte Peter Arthur und beugte sich über den Gang zu Kennedy hinüber, »wenn er es wieder schafft, wenn er sich irgendwie ins Amt schwindelt, dann sollten wir nach Washington marschieren und ihn aus dem Weißen Haus zerren, bevor er dieses Land auf ewig ruiniert.«
»So ein Arsch.«
»Sie wissen doch, was als Nächstes passiert, oder? Was für Leute er im Supreme Court installieren wird? Bald kommt man an eine Abtreibung so einfach wie an einen Kasten Bier.«
»So ist es, mein Freund.«
Peter Arthur schüttelte betrübt seine roten Schweinebacken. »Ein Holocaust an den Ungeborenen. Finanziert von unseren Steuergeldern.«
»Verdammter Kommi-Nazi.«
»Ich meine, es gab mal eine Zeit, und das ist noch gar nicht so lange her, da wurde noch Wert auf die Familie gelegt. Die Männer haben gearbeitet, und die Frauen haben die Kinder großgezogen. Heutzutage dagegen … all diese alleinerziehenden Eltern und dieser ganze Frauenquoten-Mist.«
Herr im Himmel, dachte Kennedy. Typen wie dem würde man in West Hollywood niemals über den Weg laufen. Die gab es da einfach nicht.
»Ich meine, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe natürlich nichts dagegen, dass Frauen Karriere machen. Geht Ihre Frau arbeiten?«
»Oh ja.«
»Und was macht sie?«
»Sie ist Abtreibungsärztin«, sagte Kennedy und nippte an seinem fünften oder sechsten Drink.
»Sie macht was? «
»Sie wissen schon – sie führt Abtreibungen durch. Hören Sie mal zu, mein Freund . Da, wo ich herkomme, vermeiden die Leute es lieber, wildfremde Menschen mit ihren politischen Ansichten zu belästigen. Denn es gab mal eine Zeit, da landete man auf diese Art mit einem zertrümmerten Knie in der Gasse hinter dem Pub – und zwar schneller, als einem lieb war. Aber wenn wir schon mal dabei sind: Abtreibungen sollten in Ihrem Land nicht nur legal sein, in manchen Staaten sollten sie sogar zur
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