Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
Vom Netzwerk:
versah, stand er hier am Flughafen von L. A. und starrte auf die Schlange am Sicherheitscheck, die sich keinen Zentimeter vorwärtsbewegte. Wieder versuchte er, die Aufmerksamkeit des Sicherheitsmannes zu erhaschen, in der verzweifelten Hoffnung, von ihm vielleicht endlich etwas Vernünftiges zu hören. So etwas wie: »In Ordnung. Sie sind zweifelsfrei eine große Nummer. Kommen Sie bitte hier entlang.« Aber dieser Paragraphenreiter hielt seinen Job offenbar für den wichtigsten der Welt und glotzte einfach nur mit leerem Blick zurück. Kennedy hatte nie einen richtigen Job gehabt – weil ich nie einen wollte! –, und es fiel ihm gelegentlich schwer, Verständnis für jene aufzubringen, die einen hatten.
    Er war mit zweiundzwanzig von der Uni abgegangen. Millie, die damals bereits unterrichtete, hatte ihn in den zwei Jahren, die er an seinem Roman schrieb, finanziell unterstützt. Nachdem er das erste Manuskript in die Tonne getreten hatte, unterstützte sie ihn ein weiteres Jahr, in dem er die Idee für das Buch entwickelte, das später einmal Undenkbar werden sollte. Und danach noch ein Jahr, in dem er den Roman schrieb. Und schließlich ein letztes Jahr, in dem es Ablehnungsschreiben hagelte.
    Fünf. Verfickte. Jahre.
    Gegen Ende dieser Zeit hatte Millie bereits ihren Doktor gemacht und ein Habilitationsstipendium erhalten. Kennedy war siebenundzwanzig. Sie war fast dreißig.
    Er konnte sich noch gut daran erinnern, was er Millie eines Nachts in ihr tränennasses Gesicht gesagt hatte, während sie beide auf einer Matratze in ihrer winzigen Dachgeschosswohnung lagen. »Wenn ich mit dreißig kein Buch veröffentlicht habe, dann werde ich Anwalt.« Tja, das hatte sie wieder aufgeheitert. Sie hatte sich vor Lachen fast in die Hose gemacht.
    Er betrachtete die Warteschlange. Die armen, müden, drängelnden Massen Amerikas, wie sie sich auf die Sicherheitsschleuse zubewegten – oder vielmehr nicht bewegten. Er hatte sich für diese Schlange entschieden, weil es hier rasch vorwärts zu gehen schien. Der Grund, warum es so schnell gegangen war, war allerdings der, dass man weiter vorn ein Platoon von Al-Qaida-Elitekriegern, Moslem-Seals sozusagen, aus der Schlange gezerrt hatte, die nun vermutlich allesamt ruhiggestellt, gefesselt, geknebelt, sortiert und verpackt wurden, während alle, die nach ihnen kamen, inklusive des dreijährigen Mädchens mit den Apfelbäckchen, dessen pinkfarbener Rucksack gerade gefleddert wurde, nun offenbar als potenzielle Komplizen galten. Das war also der wahre Beitrag des fundamentalistischen Terrors zur Weltkultur: Warterei.
    Kennedy versuchte sich zu erinnern, wann er sich zum letzten Mal so fürchterlich gelangweilt hatte. Wann er zuletzt dazu verdammt gewesen war, irgendwo zu verharren, wo er absolut nichts beizutragen, nichts zu tun hatte. Nichts, außer zu leiden. Vermutlich auf dem einen oder anderen Stoff-Entwicklungs-Meeting, aber die ließen sich im Zweifelsfall immer noch durch wohlplatzierte sarkastische Bemerkungen aufheitern. Etwas, was man dieser Tage auf dem Flughafen von L. A. besser bleiben ließ. Es sei denn, man legte es darauf an, mit runtergezogenen Hosen in einem verspiegelten Kabuff zu landen, wo einem so ein Muskelprotz den Arm bis zum Bizeps in den Hintern rammte. Von dem Holzklasseflug nach Guantanamo gar nicht zu sprechen.
    Wann also hatte er sich zum letzten Mal in einer dieser wirklich einschläfernden, von Schwachköpfen kontrollierten Situationen befunden, in denen ein gewisser Grad an Unterwürfigkeit und Einsichtigkeit erwartet wurden? Es fiel ihm wieder ein.
    In der Paartherapie.
    Gegen Ende seiner Zeit mit Millie waren sie in einem letzten verzweifelten Versuch, ihre Beziehung zu retten, einige Monate lang einmal die Woche in ein freudloses Büro in Kentish Town getingelt, wo sich diverse nicht weniger freudlose Zicken mit mittelmäßigem Fachhochschulabschluss verzweifelt bemüht hatten, seine Seitensprünge zu begreifen. Natürlich taten sie das durch den Filter von Millies Schilderungen, da Kennedy in der Regel kaum den Mund aufmachte. Es erstaunte ihn, wie viel sie zu erzählen hatte, wie viel sie weinen musste. Kann der menschliche Körper tatsächlich einen solchen Vorrat an Tränen bergen?, fragte er sich, als sie wieder einmal über die omnipräsente Kleenex-Schachtel herfiel. Sie sprach von Narzissmus, von ihrem Vater, von Kennedys Ego. Über die Mails, die sie gelesen hatte, über die Textnachrichten. Es lag bereits alles in den letzten

Weitere Kostenlose Bücher