Straight White Male: Roman (German Edition)
hielt Paiges Glas gegen das Licht der Schreibtischlampe hinter sich: Am Rand glänzte noch ihr pinkfarbener Lippenstift. Er legte seine Lippen auf den Abdruck und schmeckte das wächserne Aroma, bevor er das Glas leerte. Er musste an Vicky denken, die deutlich größeren Wert auf Make-up legte, als Millie es je getan hatte.
Vicky – sie hatte ihn wirklich geliebt. Er wusste noch, wie sie es ihm zum ersten Mal gesagt hatte. Sie hatten in seinem Haus in den Hills im Bett gelegen, irgendein Song lief im Radio. Er hatte ihn beim Lesen gedankenverloren mitgesungen, als er bemerkte, dass sie ihn anstarrte. »Was?«, hatte er sie gefragt. »Ich liebe dich«, hatte sie geantwortet. Und trotzdem hatte er es auf ihrer Hochzeit mit Vickys Freundin getrieben. Was zur Hölle? Warum? Die Hormone, nahm er an. Vicky war intelligent, jung, witzig, attraktiv und … und es war einfach nicht genug für ihn gewesen. So war es doch, oder? Und was tat man, wenn man einfach nie genug bekam? Die komplette Judy-Garland-Nummer: Man wollte sich die ganze Welt packen und sie durch die Nase ziehen. Aber wie sollte man wissen, dass man genug hatte, bevor es zu viel war?
Also gut, dachte Kennedy, sie kann ihr neues Badezimmer haben. Und ihren Insel-Urlaub. Und den Warhol. Sie hatte es sich verdammt noch mal verdient.
siebenunddreißig
»Ach, scheiß drauf!«, sagte Spengler und bezog sich dabei auf seinen in der Presse breitgetretenen Ärger mit den Einwohnern des Dorfes Iver Heath in Buckinghamshire. Dann hob er lässig einen Finger, um den Kellner herbeizurufen. Sie waren im Dabbous in London, wo Normalsterbliche sechs Monate auf einen Tisch warten mussten. Spengler – oder eher einer seiner Lakaien – hatte heute Morgen im Restaurant angerufen, und jetzt saßen sie hier. An einem Samstagabend. An einem der besten Tische. Warum das Dabbous? Es war angesagt. Wenn man Scott Spengler war, dann war das alles, was zählte. Es wäre vollkommen egal gewesen, wenn sie hier nur überfahrene Tiere im eigenen Dung serviert hätten. Läden, in denen es unmöglich war, einen Tisch zu bekommen, zogen die Spenglers dieser Welt an wie Scheiße die Fliegen. »Wir sind Meilen vom nächsten Nachbarn entfernt. Also haben wir einen Tennisplatz gebaut. Die können mich alle mal. Aber was soll’s, dann stifte ich dem Kaff halt irgendwas, wenn ich wieder abhaue. Ein Rathaus oder so was.« Sein Finger verharrte noch immer in der Luft. »Du solltest bei Gelegenheit mal auf einen Drink oder zum Essen vorbeikommen. Das Haus liegt ganz in der Nähe des Studios. Ich schick dir eine SMS mit der Adresse.« Endlich erschien der Sommelier. Spengler sprach kein Wort mit ihm, winkelte bloß seinen erhobenen Zeigefinger so weit an, dass er auf Kennedys leeres Glas zeigte. Der Mann zog hastig den Dom Pérignon aus dem silbernen Kübel, und das Eis gab ein angenehm klirrendes Schmatzen von sich, als es die Flasche freigab. Mit einem übertrieben fröhlichen Sprudeln ergoss sich der Champagner ins Glas, und der Kellner zog sich wieder zurück. Spengler trank bloß stilles Wasser. Auch Kennedy hielt sich für seine Verhältnisse zurück. Er wollte morgen beim Essen mit Robin nicht zu verkatert sein. Und anschließend stand ihm ja auch noch der Flug nach Dublin bevor.
»Erzähl doch mal«, sagte Kennedy, »wie war’s in Serbien?« Die Produktion hatte aufgrund der Verpflichtungen im Rahmen der genossenen Filmförderung gerade eine Woche dort gedreht, größtenteils Second-Unit-Zeug.
»Total schräg. Die Leute da sind völlig durchgeknallt. Da unten eine Filmcrew anzuheuern, ich sag dir … aber die Weiber … scheiße, Kennedy, die hättest du echt sehen sollen. Ich spreche hier von neunzehnjährigen Supermodel-Zwillingen, die sich zum Preis eines Haarschnitts die ganze Nacht lang deinen Schwengel in den Hals stecken. Du weißt schon, wovon ich rede: die Orgie.«
»Klar.«
»Für die Szene haben wir einen Haufen Escortgirls …«
»Warte mal, nein. Welche Orgien? Es gibt keine Orgienszene.«
»Na diese eine Szene halt, wie immer du sie nennen willst …«
»Es gibt eine kurze Szene, in der ein Typ und zwei Mädels …«
»Ja, genau die. Kevin dachte, wir könnten sie noch ein wenig aufmotzen, um die Location richtig auszunutzen. Visuell. Wir hatten diesen alten Ballsaal an der Hand – und Michael und Julie waren gerade vor Ort. Apropos, ihre Improvisationen waren streckenweise echt der Hammer – also haben wir …«
»Improvisationen?«
»… ein paar Dutzend
Weitere Kostenlose Bücher