Strange Angels: Verflucht: Roman (PAN) (German Edition)
Tonfall aus, den er besonders Begriffsstutzigen vorbehielt. »Aber auch dafür ist der Notenschnitt wichtig. Okay, bisher habe ich dieses Jahr überall gute Noten, also macht es wohl nichts, wenn ich mal ein paar Tage aussetze. Erzählst du mir nun, was los ist? Erst dachte ich, du willst bloß nicht, dass sich irgendein Trottel in deine Angelegenheiten einmischt. Doch wie ich dir bereits sagte, stecke ich jetzt mit drin. Da kann ich eigentlich auch erfahren, womit ich es zu tun bekomme, findest du nicht?«
Ich blickte auf den Gehweg hinunter. Mein Gesicht war immer noch schwitzig heiß und kribbelte zugleich vor Kälte. Einiges von dem frischen Schnee war schon plattgetreten, und die Räumwagen, das Steinsalz sowie der Sand hatten den Rest besorgt. Zwar waren hier und dort noch Eisspuren, aber man konnte halbwegs sicher gehen – gemessen an den Umständen. Bisher war das Wetter eigentlich nicht schlecht, klar und sonnig. Am Horizont zogen graue Wolken auf, die allerdings noch eine Weile brauchen würden, bis sie die Sonne verdunkelten. Das einzige Problem war die Kälte, die einem geradewegs durch die Kleidung schnitt.
»Dieser Fleck in deinem Wohnzimmer hat ungefähr die Größe eines menschlichen Körpers.« Graves ließ meinen Arm los, denn ich lief so oder so neben ihm her. Ich konnte gar nicht anders. »Und dein Dad … Ich bin nicht blöd, Dru!«
Das weiß ich! »Du würdest es mir nicht glauben«, murmelte ich wie ein Teenager, der nach der Sperrstunde aufgegriffen wurde.
Inzwischen sah er mich nicht mehr an. Mit hochgezogenen Schultern ging er neben mir um die Ecke, als der Notarztwagen an uns vorbeiheulte. Ich eilte ihm nach. Einen Block weiter stoppte die Sirene abrupt, so dass wir uns wieder verstehen konnten.
Graves wandte mir sein Gesicht zu. Er war nicht mehr rot. Stattdessen lag ein Ausdruck in seinen Augen, bei dem mir unbehaglich wurde. »Ach nein? Lass es darauf ankommen!« Mit diesen Worten ging er zwei Schritte weiter und zog die Schultern zugleich noch höher: alles in einer einzigen geschmeidigen Bewegung. »Ich sehe es immer wieder – im Traum. Das Ding, das mich gebissen hat.«
Ich hatte ihm nicht erzählt, dass ich den gestreiften Wolf wiedergesehen hatte. Es kam mir nicht unbedingt wie die Art Neuigkeit vor, über die er sich freuen würde. »Das ist normal. Es ist so etwas wie posttraumatischer Stress oder so.« Ich schluckte, worauf die letzten Schluchzer verstummten. Nachdem man richtig heftig geweint hatte und der Kopf wieder klarer wurde, mussten irgendwelche Chemikalien ins Blut gelangen, die einem einen merkwürdigen Kick gaben.
»Ist es normal, dass ich neuerdings Leute riechen kann? Ich meine, richtig riechen im Sinne von: Ich rieche, was sie mittags gegessen haben. Und ist es normal, dass ich im Dunkeln sehen kann, als wäre es taghell? Und was ist damit, dass ich mich schneller bewegen kann, als ich sollte? Ich komme mir vor, als wäre ich zu einer Art Superhelden mutiert. Ist das normal?!«
Ich blieb stehen und starrte ihn an. Doch er ging weiter, hielt ein Stück vor mir kurz an und sah zu mir. »Jetzt komm, beeil dich! Ist verflucht kalt hier draußen.«
»Hast du dich wirklich …« Das passiert, wenn du jemanden nicht erschießt, solange du die Chance hast. Dad hätte ihn erschossen. Aber er war doch gar nicht zum beißenden Fellvorleger geworden! »Du hast dich nicht gewandelt. Du dürftest keine Veränderungen spüren.«
»Hast du nicht gesagt, ich wäre sicher?«
»Ich dachte ja auch, du bist es!« Jetzt waren meine Wangen eiskalt und wieder nass. Ich fröstelte. Sobald ich anfing, konnte ich nicht wieder aufhören. Ich bibberte und hatte das Gefühl, Eiswasser würde durch meinen Körper fließen. »Wohin gehen wir?«
»O nein!« Er schüttelte seinen Kopf, dass das dunkle Haar flog. Die Schneeflocken waren größtenteils verschwunden, die restlichen schmolzen und hafteten als Wassertropfen an seinen schwarzen Strähnen. Er wirkte wie ein großer schwarzer Tintenklecks inmitten der grauweißen Schneelandschaft; wohl kaum die unauffälligste Erscheinung hier. »Du bist dran. Was zur Hölle ist dir passiert? Du bist schon auf ›seltsam‹ gepolt, seit du mich in dem Coffee-Shop sitzengelassen hast. Und bis dahin war es von Anfang an kein weiter Weg, würde ich sagen.«
»Ich …« Ich hielt den Atem an, seufzte einmal tief und beschloss, es einfach zu riskieren. Was würde er tun – mich auslachen? »Ich habe jemanden gesehen. Ich habe dieses …
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