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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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Sätze auf Katalanisch. Bassam flüsterte mir etwas ins Ohr, er gab sich verschwörerisch, warum nehmen wir sie nicht einfach zu einer Arabischstunde ins »Haus der Verbreitung« mit? Ich musste an mich halten, um nicht loszulachen; ich stellte mir vor, wie Cheikh Nouredine zwei ungläubige Frauen in seiner Moschee antreffen würde und dazu Bassam, halb nackt, damit beschäftigt, Judit und Elena die Heldentaten von Hamza zu erklären. Nicht heute, nicht jetzt, erwiderte ich.
    Ich für meinen Teil konnte sie dazu einladen, einen Joint auf der Festung zu rauchen, ich hatte noch ein Stück Haschisch vom Vorabend, sehr romantisch war das nicht – außerdem konnte es sein, dass sie Angst bekämen, ablehnten, sich dagegen sträubten, besonders Elena, die nicht den Eindruck machte, sehr wagemutig zu sein.
    Seit gut fünf Minuten standen wir vor der Konditorei.
    Dann auf in ein Café, sagte ich.
    Perfekt, meinte Judit, wohin geht’s? Wohin bringt ihr uns?
    Bassam wanderte hüpfend um uns herum.
    Nie im Leben hatte ich so schnell nachgedacht.
    Und dann hatte ich die Idee:
    »Zu Mehdi. Wir gehen zu Mehdi.«
    Bassam riss die Augen auf, er klatschte in die Hände, klar, zu Mehdi, du bist ein Ass. Er war völlig aufgedreht.
    Judit lächelte, ein großes, strahlendes Lächeln, ich fühlte mich wie ein Held.

Mehdi war das einzige Lokal in Tanger, in das zwei neunzehnjährige Kameltreiber wie wir mit Ausländerinnen gehen konnten, ohne jemanden zu erschrecken oder sich zu ruinieren, eines der wenigen gemischten Lokale in der Stadt, weder für die Armen noch für die Reichen, weder für Europäer noch für Araber. Tagsüber, besonders im Sommer, war das Lokal eine Cafeteria, in der Studenten und Gymnasiasten unter Schilfrohrmatten und Wildem Wein Soda schlürften, und für die Abende, den Winter oder wenn es regnete, gab es auch einen kleinen, recht einladenden Saal mit Bänken und Kissen, in dem junge Leute, Marokkaner und Ausländer, Tee tranken. In meiner Erinnerung war die Raumausstattung eine Mischung aus touristischem Orientalismus und hilfloser Moderne, ein paar Schwarz-Weiß-Fotografien in Aluminiumrahmen zwischen Berberteppichen und auf antik gemachten Musikinstrumenten. Das Lokal hatte keinen Namen, nur die verbeulte Plastiktafel eines Sprudelgetränks als Aushängeschild, man kannte es unter dem Vornamen des Wirts, Mehdi, eines riesigen, spindeldürren Typs, der nicht gerade zuvorkommend war, aber diskret und nicht nervig, der die meiste Zeit mit einer ziemlich pariserischen Schirmmütze auf dem Schädel und Gitanes rauchend auf seiner eigenen Terrasse saß. Wie alle Jugendlichen war ich mit Bassam öfter dort gewesen und hatte im Sommer dort sogar ein- oder zweimal Meryem eine Pepsi spendiert.
    Es war ein gutes Stück zu gehen, wir mussten den Hügel hinauf in den Westen der Innenstadt, aber es regnete nicht mehr; Judit und Elena freuten sich, einen Spaziergang zu machen. Ich ging an Judits Seite und Bassam mit Elena direkt hinter uns; ich hörte ihn Arabisch sprechen, und seit Elena gesagt hatte, dass sie ihn nicht verstehen würde, die meiste Zeit also, wiederholte er genau denselben Satz, nur lauter; Elena bedauerte immer wieder, dass sie ihn nicht verstand; Bassam legte noch einen Tick zu, bis er brüllte wie ein Kalb, als würden seine Chancen, von der armen Katalanin verstanden zu werden, immer größer, je lauter er ein und dieselben Wörter brüllte, die sie nicht kannte. Offenbar dachte er, eine Fremdsprache sei eine Art Nagel, den man mit den Schlägen eines stimmlichen Holzhammers in das störrische Ohr treiben müsse: mit dem Knüppel, ganz wie er den Ungläubigen den Respekt vor der Religion einbläute, nur mit einem Lächeln.
    Das Leben erschien mir schön, selbst mit dem brüllenden Bassam bei Nacht, und in Begleitung eines Mädchens durch die Viertel rund um den Markt zu spazieren, in denen ich mich eineinhalb Jahre zuvor immer herumgetrieben hatte, fegte – zumindest eine Zeit lang – all die Prüfungen und Verwünschungen der beiden vergangenen Jahre hinweg, vor allem die noch so frischen und schmerzhaften Erinnerungen an den Vorabend, an das Gesicht des Buchhändlers und den obszönen Kerl vom Parkhaus von denen ich mich genau in diesem Moment äußerst ungern irritieren lassen wollte; ich weiß noch, dass ich die Zähne zusammengebissen hatte, weil mir diese Bilder so zusetzten, die Macht der Scham, ein Widerhall, der fast ebenso gewaltig war wie der Abend zuvor, ein Nachbeben, so stark, dass

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