Straße der Diebe
meine Begleiterin mich fragte, als sie sah, dass mich plötzlich schauderte, ob mir kalt sei oder ob mich irgendetwas störe.
Judit war eine aufmerksame und scharfe Beobachterin; wir sprachen über die Revolution, den Arabischen Frühling, die Hoffnung und die Demokratie und auch über die Krise in Spanien, wo die Aussichten nicht gerade heiter schienen – keine Arbeit, kein Geld, Polizeiknüppel für diejenigen, die sich anmaßten, sich zu empören. Empörung (ich hatte verschwommen im Internet davon gehört) erschien mir ein recht wenig revolutionäres Gefühl, etwas für alte Damen, mit dem man sich vor allem Hiebe einhandelte, ein wenig so, als hätte sich, überspitzt gesagt, ein Gandhi eines schönen Tages ohne Plan und Entschlossenheit auf den Gehweg gesetzt, um sich über die britische Besatzung zu empören. Die Engländer hätten sich bestimmt ins Fäustchen gelacht. Die Tunesier hatten sich selbst angezündet, auf die Ägypter am Tahrir-Platz war geschossen worden, und selbst wenn die Sache aller Wahrscheinlichkeit nach in den Armen von Cheikh Nouredine und seinen Freunden endete, ließ es einen doch ein wenig träumen. Ich erinnere mich nicht daran, ob wir einige Wochen später über die Räumung der Empörten sprachen, die die Plaça de Catalunya in Barcelona besetzt hatten und die wie ein Taubenschwarm von ein paar Polizeiwagen und Knüppeln verjagt wurden, angeblich wegen der Meisterschaftsfeier von Barça, die dort stattfand: Dass der Fußball wichtiger war als die Politik, das war empörend, aber offenbar hat niemand wirklich dagegen protestiert, denn in ihrem tiefsten Inneren war die Bevölkerung dankbar, dass der Erfolg ihres Clubs an sich ein schönes Fest der Demokratie und Kataloniens war, ein Höhepunkt, neben dem der Aufstand der Empörten nicht ins Gewicht fiel.
Judit befragte mich auch über Marokko, über Tanger, über das Auf und Ab des Protests; ich blieb ausweichend. Als sie wissen wollte, ob ich Student sei, antwortete ich ihr, ich würde arbeiten, sei Buchhändler, hätte aber vor zu studieren. Der Beruf des Buchhändlers flößte ihr offenbar Respekt ein. Im Grunde genommen war es nicht gelogen. Eine Frage brannte mir unter den Nägeln, aber ich bewahrte sie mir für später auf, vermutlich aus Schüchternheit oder vielleicht einfach, weil ich hörte, wie Bassam direkt hinter mir sie an Elena richtete, freilich in einer etwas anderen Form: Warum hatte sie sich entschlossen, Arabisch zu lernen, wollte sie zum Islam konvertieren? Glücklicherweise hat Elena Bassams Frage im Koran-Stil nicht verstanden, übersetzt hätte sie gelautet: »Möchtest du für den Islam eintreten?« Ich hätte beinahe losgelacht, aber man tat gut daran, ihn nicht zu verärgern; schließlich hätte er beim Gebet sein sollen, stattdessen flirtete er jetzt wegen mir mit einer Spanierin; unter diesen Umständen war sein prophetisches Arabisch verzeihlich.
Als wir schließlich bei Mehdi waren, vor vier Teegläsern auf Kissen saßen und niemand dort war außer Mehdi selbst, der vertieft war in seine Zeitungslektüre, zog sich Bassam ein wenig aus der Unterhaltung zurück, hauptsächlich aus sprachlichen Gründen: Er war es leid, sich die Seele aus dem Leib zu reden, und wir sprachen Französisch oder zumindest etwas, was an Französisch heranreichte. Ich schnitt ein bisschen auf und behauptete, ich hätte die Sprache allein aus Kriminalromanen gelernt. Judit sah mich bewundernd an. Das würde ich mit dem Arabischen auch gerne, sagte sie. Es musste doch arabische Krimis geben, ägyptische bestimmt (ich weiß nicht, warum, aber ich stellte mir Kairo immer ergiebiger vor für dunkle Geschichten aus verruchten Vierteln). Ich dachte, ich könnte ihr vielleicht ein paar schenken, was mich wieder an unsere Expedition zum Buchhändler am Vorabend erinnerte; ich bildete mir ein, dass ich den Mut aufgebracht hätte, an dieser feigen, miesen Aktion nicht teilzunehmen, wenn ich diesem Mädchen vierundzwanzig Stunden früher begegnet wäre, doch damit lag ich sicher falsch.
Bassam gab mir Zeichen der Ungeduld, er scharrte mit den Füßen und hatte aufgehört zu lächeln. Er wollte zurück, und ich selbst spürte deutlich, dass dieses Teetrinken trotz aller Lust, die ich darauf hatte, nicht ewig dauern konnte; Elena gähnte von Zeit zu Zeit. Judit erklärte mir, sie beabsichtigten einen Tag länger in Tanger zu bleiben, bevor sie in den Süden nach Marrakesch fahren würden. Ein Tag ist nicht viel. Es gibt hier tausend Dinge
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