Straße der Diebe
wie möglich alle Brandspuren zu beseitigen; in den Zeitungen ging es nur um die Summe der Schäden und die Anzahl der Verhaftungen.
Im Unterschied zu Barcelona, meinte Mounir, und das ist vielleicht der einzige Unterschied, ging in Tunis auch am nächsten Tag, am übernächsten Tag und am dritten Tag danach noch alles drunter und drüber. Hier ist es, als ob nichts geschehen wäre. Die Fassaden der Banken werden wieder hergerichtet, die Regierung setzt ihre Arbeit fort, die Revolutionäre kehren zu ihren Skateboards zurück, und auf der Plaça de Catalunya übernehmen die Touristen wieder das Kommando.
Glaub mir, für einen Aufstand hat hier jeder noch viel zu viel zu verlieren.
Damals konnte man das natürlich noch nicht wissen.
Mounir versuchte verzweifelt, Kohle zu machen, mehr Kohle – er nahm tollkühne Risiken auf sich, um immer teurere Fotoapparate zu klauen, Geldbörsen, die nie gespickt genug sein konnten, ich schlug ihm eine Art von Gesellschaft vor, damit er nicht so viel klauen musste, ich hatte einen Einfall, der aus den Memoiren von Casanova stammte – der Venezianer war wie Mounir, er benötigte immer Geld, und in Paris hatte er auf Kosten des französischen Königs etwas Außerordentliches erfunden: die Lotterie, also jenes Geldspiel, aus dem jeder als Gewinner hervorging, na ja, fast jeder. Ich erklärte Mounir, wie man vernünftig und heimlich Heu machen könnte, indem man die Lotterie der Diebe auf den Weg bringt – wir saßen fünfhundert Meter von der Carrer Robadors entfernt auf einer Caféterrasse in der Carrer del Cid, die wir ihrer Ruhe wegen liebten, und ich brachte ihn mit meinen Geschichten vom Lotto zum Lachen, er konnte kaum glauben, dass es funktionieren könnte. Solange man es nicht versucht, wird man es nie wissen, sagte ich. Klar, Spiele um Geld sind Sünde, aber für den Spieler, nicht für denjenigen, der sie organisiert, nehme ich an.
Glaubst du, es gibt ein Lotto in Saudi-Arabien?
Ich fand es außerordentlich komisch, dass uns ausgerechnet der alte Casanova diese herrliche Idee lieferte. Natürlich mussten wir ein wenig investieren, zumindest für die Gewinne der ersten Ziehung, sollten wir je genügend Spielscheine für eine erste Runde verkaufen. Wir würden weit weniger gierig sein als der Staat und einen Großteil unseres Gewinns ausschütten, für uns würden wir nur zwanzig Prozent der Einsätze behalten – der Rest sollte an den Besitzer des gewinnenden Loses gehen.
Mounir zweifelte stark daran, dass die Kunden uns ihr Vertrauen schenken würden, aber die Aussichten machten ihm den Mund wässrig: Schau, wenn wir, sagen wir mal, fünfzig Lose zu zehn Euro verkaufen, macht das fünfhundert Euro. Wir zahlen vierhundert Euro als Gewinn aus und behalten hundert Euro. Wenn dir zehn Euro zu teuer erscheinen, können wir dasselbe mit fünf Euro machen.
Mounir begann den Zauber dieser schönen Erfindung zu verstehen. Er rechnete. Junge, Junge, ganz schön gewieft, dein Casanova. Und das hat er wirklich erfunden? Ich glaube schon, antwortete ich. Zumindest erzählt er das.
Das Unternehmen anzuleiern war freilich komplexer, als wir dachten, aber eine Woche später hatten wir die Lose für unsere Untergrund-Lotterie gedruckt – ich war der Investor, hatte mir also den materiellen Teil der Sache aufgehalst. Schließlich fanden wir es einfacher, wenn wir uns einer schon bestehenden Ziehung bedienten, anstatt unsere eigene zu veranstalten, was zudem den Vorteil hatte, dass es uns eine gewisse Legitimität verschaffte: Jeder konnte in der Zeitung oder in den Glücksspielbuden nachsehen, ob er gewonnen oder verloren hatte.
Glücksspiele sind eine hoch spanische Angelegenheit, wie man mir erklärte: An Weihnachten veranstalteten alle (Verbände, Geschäfte, Supermärkte, Behörden …) eine Vielzahl von Lotterien. Das Besondere an unserer wäre also, dass sie außerhalb der Saison stattfand und auf Casanova zurückging.
Natürlich war diese Initiative ein Reinfall fast auf der ganze Linie: Wir verkauften drei Lose, zwei im marokkanischen Restaurant in der Carrer Robadors und ein drittes an Judits Mutter, was ein wenig beschämend war – Mounir, der alle chinesischen Geschäfte im Raval abklapperte, brachte kein einziges Los an den Mann, und wir hatten für unser Glück fest auf die (unterstellte) Spielleidenschaft der Chinesen gesetzt.
Dabei waren unsere Lose hübsch, ganz bunt und katalanisch, ich dachte, das würde seriöser aussehen: Allerdings war Loteria Robadors
Weitere Kostenlose Bücher