Straße der Diebe
eine kleine Bar hinter einem Baugerüst geöffnet, und ich beschloss, eine Pause einzulegen und zu warten, bis sich alles ein wenig beruhigt haben würde. Ich bestellte einen Kaffee und ließ mir viel Zeit mit dem Trinken – das Fernsehen übertrug die Ereignisse des Tages live, ich sah die Straßenschlacht, die ich an der Plaça Urquinaona gerade erlebt hatte, aus einem anderen Winkel: Es war ein denkbar merkwürdiges Gefühl, zu wissen, dass man mich hinter den Polizisten auf der linken Seite, an der Ecke zur Carrer Pau Claris, hätte sehen können. Das Fernsehen war das Periskop eines untergetauchten U-Boots.
Die Nacht brach an. Ich fürchtete, ich könnte das Pech haben, mit einer Gruppe Aktivisten festgenommen zu werden, deshalb entschied ich mich für einen großen Umweg, damit ich sicher in mein Viertel, in meine Festung, in den Palast der Diebe zurückkam: der Carrer de la Diputació bis zur Carrer Villarroel folgen, dann bis zur Markthalle Sant Antoni hinuntergehen und über die Carrer Riera Alta ins Raval gelangen. Ein Fußmarsch von einer Dreiviertelstunde, mit dem ich vermeiden konnte, durch Zufall in eine Horde von Gesetzeshütern mit Knüppeln in der Hand zu geraten. Von der Carrer de la Diputació aus sah man an jeder Ecke zur Linken rund um die Plaça de Catalunya fünfhundert Meter weiter unten die weißen Tränengasschwaden aufsteigen, die sich mit dem schwarzen Qualm der brennenden Mülleimer vermischten. Es gelang mir, Judit zu erreichen – sie hatte die Demonstration verlassen, um nach Hause zu gehen, als die Polizisten an der Ecke Avinguda Diagonal, Passeig de Gràcia angriffen; ihre Stimme war heiser; ich habe sie gefragt, ob alles in Ordnung sei, ja, ja, antwortete sie, natürlich, ich bedrängte sie nicht weiter.
Der Umweg war eine gute Idee – außer den Verkehrspolizisten auf ihren Mopeds, die die Autos daran hinderten, ins Zentrum abzubiegen, begegneten mir nur Händler, die in Gruppen vor ihren halb geschlossenen Geschäften zusammenstanden und diskutierten, oder junge Leute mit ernsten und entsetzten Gesichtern, die von der Plaça Universitat kamen.
Die beiden Gebäude, die behelfsmäßig als Markthalle dienten, weil die alte Markthalle renoviert wurde, bildeten ein Tor in den imaginären Festungsmauern, hinter denen das Raval begann, und dort, mittendrin, war die Straße der Diebe – und ich war in Sicherheit. Gott weiß warum, aber das Viertel lag im Dunkeln. Die Straßenbeleuchtung funktionierte nicht. Vielleicht eine Auswirkung des Streiks oder ein Zufall; einige Geschäfte waren geöffnet und warfen ein merkwürdig schummriges Licht auf den Asphalt, was unserem Armenschloss einen noch mittelalterlicheren Anstrich verlieh. In der Carrer Robadors war alles beim Alten: Zwei schwarze Jungs lauerten an der Ecke, warteten auf Gott weiß wen, der nie kam; Maria saß vor ihrer Tür und hatte den Rock bis zur Mitte ihrer Schenkel hochgeschlagen; als ich die Treppe hochstieg, stoben dicke Schaben davon; Mounir saß vor dem Fernseher, die Füße, in Socken, auf dem Couchtisch. Fix und fertig ließ ich mich neben ihn aufs Sofa fallen – ich war fast vier Stunden herumgewandert.
Das Fernsehen sendete die Bilder des Tages in einer Endlosschleife.
Ich hatte gedankenlos angefangen, mit dem Messer zu spielen, das Mounir wie üblich auf den Tisch gelegt hatte; es war eine kurze, aber breite, sehr spitze Waffe; ein Metallbügel verhinderte, dass die Klinge zurückklappte, wenn das Messer einmal geöffnet war, und um es wieder einzuklappen, musste eine starke Feder gelöst werden. Das Heft war kurz, Stahl, der von zwei Griffschalen aus rotem Holz ummantelt war. Stabil, scharf, gefährlich. Ich fragte Mounir, ob er es schon benutzt hatte, nein, sagte er, du träumst wohl, ich habe es noch nicht einmal vor jemandem gezückt. Ich hab’ es nur zur Sicherheit, für alle Fälle. Man weiß nie.
Man wusste tatsächlich nie.
Die Kommentare im Fernsehen waren immer gleich.
Die Gewerkschaften freuten sich über die enorme Beteiligung am Streik.
Die Regierung freute sich darüber, dass sie schon am nächsten Tag ihre unverzichtbaren Wirtschaftsreformen weiterführen konnte.
In der Ferne kreiste noch immer der Hubschrauber.
Am nächsten Tag erwachte die Stadt fieberhaft und ungläubig; die Welle der Gewalt bebte noch am Morgen – in kleinen Gruppen und mit Kommentaren hinter vorgehaltener Hand begutachteten Schaulustige die zerschlagenen Schaufensterscheiben; die Putztrupps versuchten, so schnell
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