Strasse der Sterne
sei gegrüßt! Ich tue es nicht gern. Aber es muss sein. Bitte verzeih mir armem Sünder! Um Jesu willen.
Armando betrat die Stufen zum Altar. Oben angelangt, öffnete er den Schrein und schlug ein Kreuzzeichen, bevor er den Kelch berührte.
»Für dich, Jesus Christus«, murmelte er. »Und für die Templer, deine treusten Diener, die dein heiliges Blut in ewigem Angedenken halten werden.«
Der Kelch war überraschend leicht.
Armando schlug ihn in die Lappen ein, die er aus der Tischlerwerkstatt entwendet hatte, und legte ihn vorsichtig in seine Tasche. Hatte er das Kloster weit genug hinter sich gelassen, würde er ihn mit Ruß schwärzen, um ihn unkenntlich zu machen. Sorgfältig verschloss er die Türen des Tabernakels und verließ die Kirche.
Tagelang war er auf der Lauer gelegen. Durch geduldiges Beobachten hatte er schließlich herausgefunden, wo der Pförtner den Ersatzschlüssel für die Klosterpforte versteckte. Ein schneller Griff hinter den lockeren Stein am Fuß der Mauer, und Armandos Finger umschlossen kühles Metall.
Draußen empfing ihn ein nachtblauer Himmel, übersät mit unzähligen Sternen. Der Ruf eines Nachtvogels, dann schwieg der dunkle Wald, der ihn nun aufnehmen würde.
Armando drehte sich noch einmal um.
Das Rot des Felsens, der über dem Kloster aufragte, Schutz und Bedrohung zugleich, war zu Grau verblasst. Er wunderte sich nicht.
Denn die Quelle allen Lichts lag nun in seinen Händen.
*
Ostabat, Juni 1246
»Wir müssen uns entscheiden«, sagte Camino, als sie die Anhöhe erreicht hatten. »Dort unten sind die Dächer von Ostabat. Hier zweigen die Wege ab. Der breitere nach Saint- Jean-Pied-de-Port, den die Pilger nehmen. Dort drüben der andere, der ans Ende der Welt führt, wenn du Recht behältst.«
»Die Entscheidung ist längst getroffen«, erwiderte Tariq. »Zumindest, was die niña und mich angeht. Wozu glaubst du, habe ich sie bis hierher gebracht?«
Sein Arm lag um die Taille des Mädchens, deren Kopf schlaf t runken auf seine Schulter gesunken war. Er saß hinter ihr auf dem Pferd, ihr Halt und ihre Stütze, und Camino, der Walli am Halfter führte, gönnte ihm zwar diese Vertrautheit, wünschte sich aber trotzdem, an seiner Stelle zu sein.
»Ist es nicht Pilars ausdrücklicher Wunsch, nach Santiago zu pilgern?«, erwiderte er vorsichtig.
»Das kann sie anschließend immer noch«, sagte Tariq. »Es sei denn, sie will lieber bei ihrer Mutter bleiben.«
»Und wenn die Mutter sie gar nicht will? Hast du daran schon mal gedacht?«
»Aber sie ist doch ihr Kind«, sagte Tariq mit einem Anflug von Trotz. »Und wie ich die Herrin kenne ...«
Sollte er ihm etwas über das Vermächtnis verraten? Tariq entschied sich dagegen. Ohnehin überfiel ihn in den letzten Tagen immer häufiger die Furcht, er habe die kostbare Fracht ganz umsonst mit sich getragen. Er konnte noch immer nicht recht glauben, dass dieser Mann in mittleren
Jahren, der ihnen zufällig begegnet war, eine so wichtige Rolle spielen sollte. Es gab nur eine, die endgültig Klarheit darüber schaffen konnte - sie, die Herrin.
»Sie hat sich schon einmal gegen ihr Kind entschieden«, sagte Camino. »Sie könnte es wieder tun. Willst du Pilar diesen Schmerz zumuten?«
»Pilar ist stärker, als du glaubst«, erwiderte Tariq. »Schließlich ist sie ihre Tochter.« Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. »Gehst du nun endlich nach dem Weg fragen, oder muss ich es tun?«
»Ich gehe. Lass uns sie zuvor in den Schatten des Baumes bringen. Je länger sie schläft, desto besser.«
Pilar murmelte im Schlaf, als die beiden Männer sie vom Pferd hoben und unter eine großen Kiefer betteten. Dann jedoch zog sie ihren Umhang fester um sich und schlief weiter.
Tief in Gedanken versunken, hatte Camino gerade die ersten Häuser erreicht, als ein Stöhnen ihn innehalten ließ. Er musste zweimal hinsehen, bevor er die Frau entdeckte, die im Straßengraben kauerte und sich erbrach, als wollte sie sich die Seele aus dem Leib speien. Er ging auf sie zu und redete bereits beim Näherkommen, um sie nicht zu erschrecken.
»Brauchst du Hilfe?«
Mühsam richtete sie sich kurz auf, um sofort wieder kraftlos vornüberzusinken.
Er half ihr, sich aufzurichten. Ihr Gesicht war fahl und das braune Haar nass geschwitzt. Unter den Achseln hatte sie riesige Schweißflecken.
»Tu as froide?« Als sie nicht reagierte, versuchte er sein Glück erneut auf Deutsch. »Du frierst. Ich glaube, du hast Fieber. Hast du nichts
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