Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
gewesen, ob ihr Mut ausreichen würde, um diese Worte auszusprechen, aber jetzt gab es kein Zögern mehr. »In der Nacht, als du meine Mutter zum letzten Mal gesehen hast?«
    Er blieb eine ganze Weile still.
    »Meinst du nicht, ich hätte mir diese Frage nicht schon abertausendmal gestellt?«, sagte er schließlich. »Ich habe überlegt, gegrübelt, alles verworfen und gerechnet, um nur noch unsicherer zu werden. Aber es ist einfach zu lange her. Wünsche und Hoffnungen haben sich in meinem Herzen zu einem Knäuel verstrickt, das sich nicht mehr entwirren lässt.«
    Sie hörte, dass er vor ihr auf und ab ging, als sei die innere Spannung nicht anders zu ertragen.
    »Ja, wir haben uns geliebt, Blanca und ich, in jener Nacht, in verzweifelter Lust, dem Tod näher als dem Leben. Das ist die Wahrheit, Pilar. Zum letzten Mal. Wir wussten es alle beide.«
    »Bist du mein Vater?«, flüsterte sie.
    »Ich wünschte, ich wäre es. Aber diese Frage kann nur eine beantworten.«
     
    *
     
    Kloster Juan de la Peña, Juni 1246
    »Hoc est enim corpus meus.«
     
    Abt Silos beugte vor der Hostie anbetend sein Knie, zeigte sie danach hoch erhoben den knienden Mönchen und legte sie wieder auf den Altar zurück.
    Als er wenig später zum Kelch griff und ihn ebenfalls erhob, vermochte Armando den Blick nicht davon zu lösen: eine aus Achat gearbeitete Schale, eingefasst in eine goldene, mit Perlen, Rubinen und großen Smaragden verzierte Halterung, die auf einem Onyxfuß ruhte.
    »Hic est enim Calix Sanguinis mei, novi et aeterni testamenti: mysterium fidei qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionempeccatorum ...«
    Die vertrauten lateinischen Worte flogen an ihm vorbei. Ein Lichtstrahl war durch die Fensteröffnung neben dem Altar gefallen und ließ den Achat goldrot aufleuchten. Das war sie - die Schale, die einst das heilige Blut Jesu aufgefangen hatte!
    So viele hatten sich vergeblich auf die Suche nach ihr begeben. Und er stand direkt vor ihr. Armandos Handflächen wurden feucht. Ein nie zuvor erlebtes Glücksgefühl erfasste ihn, dass ihn schwindelig machte. Die Brüder in Tomar würden zufrieden mit ihm sein, wenn er den Schatz endlich nach Hause brachte.
    Dann jedoch fiel sein Blick auf den Rücken des Abtes, der in seinem weißen Priesterkleid festlich und streng zugleich wirkte, und seine Zuversicht schwand. Wie jeder Schatz wurde auch dieser von einem Drachen bewacht. Und Armando war klar, dass jener Silos vorne am Altar der allergefährlichsten Sorte des Gewürms zuzurechnen war.
    Bei der Abendmahlzeit stocherte er so zerstreut in seinem Essen, dass der beleibte Zellular, der neben ihm saß, ihm besorgte Blicke zuwarf. Dabei gab es ausnahmsweise Fisch, der in Öl regelrecht schwamm, Feldkräuter und helles Brot. Es schien Armando, als würden einige der Brüder während der Lesung dem Wein zügiger als sonst zusprechen, und es beruhigte ihn, dass der Pförtner, ein älterer Mönch mit weißem Haarkranz, ebenfalls darunter war.
    Beim Hinausgehen maß ihn der Abt mit einem prüfenden Blick, der ihn innerlich schaudern ließ.
    Silos brauchte nichts zu sagen. Armando wusste auch so Bescheid. Seine Zeit hier im Kloster lief ab. Er musste handeln, unverzüglich, wollte er nicht sein Vorhaben gefährden und unverrichteter Dinge nach Tomar zurückkehren.
    Psalmbetend begaben die Mönche sich später zur Komplet, um den Tag zu beschließen. Sonst gab es kein Gebet, das ihm näher war, weil er es liebte, damit sanft von der Geschäftigkeit des Tages in die Stille der Nacht zu gleiten. Heute jedoch fehlte Armando die nötige Sammlung. Blicklos starrte er während der Melodien von Hymnus und Responsorium auf den Tabernakel aus Elfenbein, in dem der Schatz ruhte, dem sein ganzes Sinnen und Streben galt. Als alle Kerzen in der Kirche gelöscht wurden, bis auf die zu Füßen der blau gewandeten Madonna, und die Fratres gemeinsam das Salve Regina anstimmten, war es ihm, als seien die Worte für ihn allein bestimmt.
    Während die Mönche anschließend ins Dormitorium schlurften, ließ Armando sich immer weiter zurückfallen. In einem unbeobachteten Moment versteckte er sich in einem Nebengang. In einer Nische hatte er dort zuvor bereits Tasche und Umhang versteckt, mit denen er sich nun rüstete.
    Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er zurück in die Kirche ging. Die Kerze zu Füßen der Muttergottes spendete wie immer diffuses Licht. Hilf mir, Mutter der Barmherzigkeit, betete er stumm. Unser Leben, unsere Wonne und Hoffnung,

Weitere Kostenlose Bücher