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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ausgesandt, aber warum traf er nirgendwo auf sie?
    Vielleicht waren sie in die andere Richtung gelaufen. Vielleicht hatte der dichte Wald, der alle Schritte verschluckte, sie auf eine falsche Fährte geführt. Vielleicht aber hatten sie sich auch anderswo postiert, bereit, ihn zu schnappen, sobald er sein Versteck in der Wildnis aufgab.
    Armando hatte es nicht eilig damit. Pinien, Eichen und Buchen waren ihm vertraut, ebenso die Tiere, die in ihrem Schutz lebten. Der Wald bot ihm ausreichend Nahrung: Beeren, Eier, Kräuter, Wurzeln. Die Sonne tat sich schwer, durch das dichte Blattwerk zu dringen, was sich in einer weichen Laubdecke auf dem Boden niederschlug.
    Sie wurde zu seinem Ruhelager.
    Hier konnte er bequem liegen und den Kelch immer wieder aufs Neue betrachten: den Schimmer der Perlen, das Licht der Rubine und Smaragde, das verborgene Feuer des Achats, das aufloderte, sobald es ein verirrter Sonnenstrahl traf. Ihn zu schwärzen, was die Vernunft eigentlich geboten hätte, hatte er bislang noch nicht über sich gebracht. Aber er würde es schließlich tun müssen, das wusste Armando. Spätestens, wenn er den schützenden Wald verließ. Spätestens, wenn er sich der nächsten Ansiedlung näherte.
    Aber er sehnte sich nicht nach menschlicher Gesellschaft; zu seiner eigenen Überraschung genügte ihm die der Tiere und Pflanzen. Es machte ihm nicht einmal zu schaffen, dass es niemanden gab, mit dem er reden konnte, denn das große Grün ringsumher schwieg niemals vollständig. Er genoss das Gurren der Ringeltauben und Krächzen der Krähen ebenso wie den lautlosen Flug der Steinadler, die majestätisch über den Wipfeln kreisten.
     
    *
     
    In den Pyrenäen, Juni 1246
     
    Das Geraschel der Ziegen und Schafe, die mit ihnen in den Häusern übernachteten, war ihnen inzwischen nicht minder vertraut als die Geräusche schlafender Menschen.
    Pilar spürte die Armut fast körperlich, die ihr hier überall begegnete. Immer wieder stiegen Erinnerungen an das große Haus in der Wahlenstraße in ihr auf, das so viel Annehmlichkeiten geboten hatte, und sie schämte sich fast, dass sie sich danach zurücksehnte.
    Rena schien die Armut und Enge nichts auszumachen, ja, sie schien sie regelrecht zu genießen. Besonders stolz war sie darauf, dass sie sich mit eigener Hände Arbeit durchbringen konnte. Auch der säuerliche Geruch, der über der ganzen Ansiedlung hing, schien sie nicht zu stören.
    »Das kommt vom Käsemachen«, hatte Rena erklärt, als Pilar sie danach gefragt hatte. »Ja, du musst gar kein erstauntes Gesicht ziehen: Deine Mutter ist mittlerweile eine Käsemeisterin geworden. Davon leben wir. Die nächsten Dörfer reißen sich darum. Und es gibt sogar einige Bauern, die ihn für uns auf dem Markt von Iruna verkaufen.«
    Ihre schwache Stimme strafte die aufgesetzte Fröhlichkeit Lügen. Pilars Hände hatten längst gelesen, was ihre Augen nicht mehr sehen konnten: die Magerkeit des Leibes, die Furchen in Wangen und Stirn. Das Haar hatte seine einstige Dichte verloren.
    »Das kommt nur, weil ich den ganzen Winter über krank war«, versuchte Rena ihre Besorgnis wegzuwischen. Die einfachen Steinhäuser waren schlecht heizbar; außerdem fehlte es so weit oben an Holz, das Ast für Ast heraufgeschleppt werden musste. »Ein böser Husten, der mich lange niedergeworfen hat. Aber jetzt, wo es wärmer wird, komme ich bestimmt wieder auf die Beine.«
    Niemand, der ihr wirklich geglaubt hätte. Schon das Sprechen strengte sie sichtlich an.
    »Das ist der Preis für das freie Leben in den Bergen«, behauptetet sie. »Dafür habe ich die Behaglichkeit eines Bürgerhauses aufgegeben - und ich habe es gern getan.«
    »Wieso hast du uns verlassen?« Pilar bettelte nach der Antwort, vor der sie sich schon so lange Zeit fürchtete.
    »Ja, Blanca, warum bist du gegangen?« Caminos drängende Frage schien an ihrem schwachen Rücken abzuprallen.
    Doch dann drehte Rena sich herum. Ihre Augen wurden dunkel. »Du solltest es wissen.«
    Plötzlich schien es, als wären sie allein.
    »Sag es mir.«
    »Weil er nicht du war. Das konnte ich ihm nie verzeihen. Mit Heinrich fortzugehen hat mein Leben gerettet. Aber zu welchem Preis? Je länger ich an seiner Seite lebte, desto schmerzlicher wurde es mir bewusst. Heinrich hat mir seine Liebe geschenkt, aber was sollte ich mit ihr anfangen?« Ein qualvoller Husten schüttelte sie, bevor sie weitersprechen konnte. »Ich konnte seine Zuneigung, seine Hoffnung, seine schier unendliche Geduld nicht

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