Strasse der Sterne
schneidenden Linien, die hoch über ihren Häuptern zu einem Stern zusammenliefen.
Der Stern - ein Zeichen, das ihn führte?
Merkwürdiges war ihm zugestoßen, seitdem er auf der Straße der Sterne pilgerte, die vor Santiagos Grab endete: Sor Angelita mit ihrem Zaubergarten, der finstere Silos, dessen Häscher er noch immer fürchtete, auch wenn er sie bislang nirgendwo hatte entdecken können. Die verwunschene Zeit im Wald, das nackte Mädchen am Fluss. Der Überfall, die Ohnmacht. Und schließlich jene zusammengewürfelte Schar, mit der er nun unterwegs war.
Er war gern mit ihnen zusammen. Vor allem in Gegenwart der Blinden ging sein Herz auf. Alles schien seine Richtigkeit zu haben. Bis eben noch hatte er geglaubt, trotz aller Umwege auf dem rechten Weg zu sein.
Plötzlich aber war Armando unsicher. Irrte er sich? Machte er sich etwas vor, weil er sein eigentliches Ziel längst aus den Augen verloren hatte? Die Sanftmut des Lammes und die Kühnheit des Löwen - wieso hatte er Angst, diesen Satz, den der Großmeister an jeden Adepten bei der endgültigen Aufnahme in den Orden richtete, nie zu hören zu bekommen?
Er rang nach Luft und sehnte sich nach der Stille und Einsamkeit des Waldes. Kaum war der letzte Choral verklungen, eilte er aus der Kirche, so rasch, dass er den jüngeren der beiden Tempelritter, der es ebenfalls eilig zu haben schien, versehentlich anrempelte.
»Kannst du nicht aufpassen, du Tölpel?«, raunzte der ihn an. »Siehst du nicht, mit wem du es zu tun hast!«
Mit einem Ebenbürtigen, wollte Armando schon sagen, einem geliebten Bruder im Herrn, ließ es aber doch lieber bleiben.
»Tut mir Leid«, murmelte er stattdessen.
»Diese Bauern werden es niemals lernen«, sagte der zweite im weißen Mantel. »Nur mit dem Schwert kann man ihnen Benehmen beibringen.« Aggressiv schubste er Armando zur Seite. »Na, was ist? Lust, die Sprache meines besten Freundes kennen zu lernen? Dann reiß dein Maul ruhig weiter auf.«
Wütend kniff Armando die Augen zusammen. Er war der Hüter des heiligen Kelches, und dieser Ahnungslose wagte es, ihn grundlos herauszufordern!
»Ich will dir gern zeigen«, begann er, »was es heißt ...«
Camino versetzte ihm einen Stoß, der ihn zum Schweigen brachte. Die Templer machten auch ihm zu schaffen. Ihr Anblick hatten ihn einen Moment überlegen lassen, ob sie ihn vielleicht erkannt hatten. Aber sie waren zu jung. Keiner von ihnen konnte zu seiner Zeit im Heiligen Land gekämpft haben.
»Mein junger Freund bittet um Vergebung.« Er brachte sogar eine angedeutete Verneigung zustande. »Ein frommer Pilger, unerfahren im Umgang mit hohen geistlichen Herren. Gott sei mit euch!«
Die Templer nickten knapp, gingen zu ihren Pferden und saßen auf.
»Wieso bist du dazwischengegangen?«, fragte Armando empört, während sie davonritten. Was hätte er jetzt darum gegeben, ihnen nachzugaloppieren! »Ich hätte es ihm schon gezeigt!«
»Hast du noch nicht genug von Raufereien? Was hättest du denn gegen ihre Schwerter eingesetzt? Deinen Pilgerhut? Oder die Pelerine?« Kopfschüttelnd sah Camino ihnen hinterher. »Heldenselig und arrogant wie eh und je! Eines Tages wird es ihnen noch das Genick brechen.«
»Aber sie sind die Streiter Christi!« Es klang sehnsüchtig.
»Glaubst du, man kann dem Herrn nur mit dem Schwert dienen?«
»Viele tapfere Tempelritter sind nach Jerusalem gezogen und ...«
»In Jerusalem sitzen erneut die Ungläubigen. Und glaube mir: Sie sitzen fest!«
»Das klingt, als wüsstest du genau Bescheid.« Armando musterte sein Gegenüber mit neu erwachtem Interesse.
»Der Boden ist mit Blut getränkt, zu viele Tränen sind schon vergossen. Soll immer noch mehr Leid über die Menschen kommen?«
»Du warst einer von ihnen?«
Aus den Augenwinkeln beobachtete Camino, wie Moira Pilar aus dem Gebüsch half. Tariq schien nichts dagegen zu haben, dass sie immer öfter Dienste übernahm, um die er sich früher gekümmert hatte. Estrella umkreiste gelangweilt summend schon mindestens zum dritten Mal die Kirche. Sie war weit genug entfernt. Ihm lag nichts daran, sie zur Mithörerin zu machen. Dennoch zögerte er mit seiner Antwort. Schließlich aber erschien es ihm richtig, offen zu sein. Der junge Mann vor ihm verdiente die richtige Antwort.
»Ja«, sagte er. »Und den Mantel mit dem Tatzenkreuz bewahre ich bis heute auf. Als Andenken an den Tag, an dem ich vor der Liebe floh - und damit vor dem Leben.«
*
Logrono, Juni 1246
Es war dunkel
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