Strasse der Sterne
Fleisch und der Wein in schäumendes Blut.«
Umberto schien die Wirkung seiner Worte zu genießen. Weil Armando abrupt verstummt war, übersetzte Camino sie halblaut für Moira und Pilar.
»Jetzt kommen sie von überall her, um den Kelch zu sehen«, fuhr Umberto fort. »Manche nennen ihn den Gral von Galicien und glauben, er könne die ganze Christenheit retten.«
Es war wie ein Schlag in die Magengrube.
Armando hatte Mühe, seine Aufregung zu verbergen. Der Gral! Das konnte nicht sein, denn in seiner Tasche steckte die heilige Schale, der Schatz, um dessentwillen er unterwegs war!
Was der Frater noch zu sagen hatte, rauschte an ihm vorbei. Wie in Trance kam er mit den anderen vor dem Kloster an, wo ein mürrischer Augustinerbruder sie abwies: Erst vor kurzem hatte eine Feuersbrunst den Seitenflügel mit dem Pilgerhospiz zerstört. Deswegen brachte er sie in einem leer stehenden Kugelhaus unter.
Armando wartete nicht, bis die anderen das Gepäck abgeladen hatten. Er suchte sich ein abgeschiedenes Plätzchen und öffnete mit unsicheren Händen seine Tasche. Täuschte er sich, oder war der Kelch weniger sorgfältig eingeschlagen, als er es in Erinnerung hatte?
Als er den Kelch ausgepackt hatte, wurde sein Atem ruhiger. Die Schale war unversehrt, wie er im Mondlicht feststellen konnte. Das war der Gral, nach dem alle verlangten, und er war der Bote, der ihn für alle Zeiten heim nach Tomar bringen würde! Seine Finger strichen behutsam über die goldene Halterung.
Dann stutzte er. Ein Fleck. Eine dunkle Stelle!
Unwillkürlich begann er mit seinem Ärmel daran zu reiben. Mehr und mehr Gold blätterte ab, hinterließ nichts als hässliches schwarzes Metall. Unfähig, zu glauben, was sie längst gesehen hatten, untersuchten seine Augen den Fuß. Als Armando den tiefen Kratzer in einem der grünen Steine entdeckte und gleich danach in dem blutroten, war er nicht einmal besonders überrascht.
Er ließ Schale, Halterung und Fuß sinken.
Entsetzt starrte er vor sich hin. Das Schrecklichste war eingetreten. Seine Sünde hatte den Gral entweiht. Glanz und Zauber waren verflogen. Das war nicht mehr das Gefäß, das Jesu Blut geborgen hatte! Was er nun in Händen hielt, war nicht mehr als Stein und wertloses Eisen.
Estrella bemerkte er erst, als sie vor ihm stand.
»Was ist mit dir?«, fragte sie. »Was machst du für ein langes Gesicht?«
Dann entdeckte sie, was in seinem Schoß lag.
»Ach, das«, sagte sie und lachte. »Willst du es endlich loswerden?«
»Du weißt, was es war?«, sagte er fassungslos. »Aber wieso?«
»Ich war ein bisschen neugierig«, erwiderte sie. »Aber ich hab nichts kaputt gemacht. Nur ganz vorsichtig daran gerieben. Das Zeug taugt nichts. Vor allem die Steine. Und die
Perlen kannst du auch vergessen. Nichts als Glas. Allerdings hab ich mich schon gefragt, weshalb in aller Welt du solch schweren Tand mit dir herumschleppst.«
»Du hast den ...« Er konnte nicht weiterreden. »Du warst an meiner Tasche?«
»Was regst du dich auf? Es ist doch nichts passiert!« Um ihn zu beruhigen, legte sie ihre warme Hand auf seinen Scheitel. »Weißt du, Armando, ich mag dich immer noch ein bisschen. Obwohl du es eigentlich nicht verdient hast. Wenn du willst, könnte ich ...«
Er schüttelte sie ab wie eine Giftschlange.
»Fass mich nicht an«, zischte er. »Fass mich nie wieder an!«
Estrella bedachte ihn mit einem seltsamen Blick, dann drehte sie sich um und ging davon.
*
»So ähnlich muss Irland aussehen«, sagte Moira. »Fehlt eigentlich nur noch das Meer. Dafür gibt es diesen großen, weiten Himmel, die Straße der Sterne, die uns sicher bis hierher geführt hat. Meine Mutter hat mir so oft davon erzählt, dass ich manchmal träume, selber dort zu sein.«
Sie saßen im Gras und schauten auf die Hügel, die das Mondlicht noch weicher machte. Über ihnen ein Funkeln und Glitzern, wie sie es nie zuvor gesehen hatten.
»Du kennst die grüne Insel nicht?«, sagte Camino.
»Meine Familie lebte schon in Trier, als ich geboren wurde. Aber meine Mutter ist dort niemals wirklich heimisch geworden. Und ich eigentlich auch nicht.« Sie warf ihr Haar zurück. »Sie hat immer gesagt, mein Name sei ihr letzter Tribut an die Heimat. Moira - es soll Schicksal bedeuten. Oder sogar Glück.«
»Moira.« So, wie er es aussprach, klang es wie eine Liebkosung. »Moira - das Glück. Sehr verheißungsvoll.« »Bitte sprich nicht so. Sonst ...« Sie drehte ihr Gesicht schnell zur Seite.
»Was ist sonst?«,
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