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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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fragte er.
    »Sonst wird mein Verlangen noch größer.« Sie erschrak über ihren eigenen Mut.
    »Mit diesem Verlangen bist du nicht allein.« Camino räusperte sich. »Ich wollte es dir schon längst sagen. Zuerst konnte ich es kaum ertragen, wenn du Blancas Worte vorgelesen hast. Aber inzwischen ist es anders. Es ist richtig. Manchmal geschieht sogar etwas sehr Verblüffendes. Dann ist es für mich, als würdet ihr dabei zu einer Person.«
    »Aber ich bin Moira, nicht Blanca.« Sie wollte aufstehen, aber er hielt sie fest. »Blanca ist tot. Und ich lebe.«
    »Das weiß ich.« Er zog sie an sich und nahm sie in die Arme. »Das weiß ich doch längst.«
    Moira lauschte seinem Herzschlag.
    Er war so nah und so warm. An seiner Brust fühlte sie sich geborgen. Beinahe schwerelos. Sie lebte. Sie liebte. Sie hatte keine Angst mehr. Sie spürte seine Lippen an ihrem Ohr.
    »Du fühlst dich so zart und so klein an wie ein Kind«, flüsterte Camino.
    Moira erstarrte. Sie stieß ihn weg.
    »Was habe ich Falsches gesagt?«, fragte er verblüfft.
    »Alles«, sagte sie mit dünner Stimme, »nur nicht das. Das nicht!«
    »Moira, was ist mit dir? Was hast du?«
    »Er hat sie berührt.« Schluchzer erschütterten ihren Körper. »Sie ist zu mir gekommen, aber ich konnte es nicht glauben. Fleisch von seinem Fleisch, sein eigenes Kind! Dann aber
    begriff ich plötzlich. Geros wachsende Gleichgültigkeit mir gegenüber. Seine Kälte, wenn ich ihn küssen wollte. Nur
    wenn Marie das Zimmer betrat, begannen seine Augen zu leuchten. Marie, unsere schöne Tochter, kaum vierzehn Jahre alt. Ich war selber nicht viel älter gewesen, als ich ihm zum ersten Mal begegnete ...«
    »Was ist geschehen?«, fragte Camino vorsichtig.
    »Ich hoffte immer, es würde aufhören. Aber es hörte nicht auf. Seine Blicke, seine heimlichen Berührungen. Sein Drängen. Marie wurde immer blasser und stiller. Abend für Abend saß sie stumm vor dem Feuer. Und dann eines Tages, als ich nach Hause kam, fand ich ihn. Und sie. In unserem Bett. Niemals werde ich den Ausdruck ihrer Augen vergessen ...«
    Sie keuchte. Wie unter einem inneren Zwang sprach sie weiter. »Am nächsten Morgen hat Marie sich in den Dom geschlichen, bevor die Bauarbeiter kamen. Gero war als Dombaumeister für den neuen Chor verantwortlich.«
    »Deshalb deine Aufregung«, sagte Camino. »Jetzt verstehe ich endlich, weshalb du in jedem Gotteshaus nach seinem Bauzeichen suchst.«
    Moiras Stimme wurde ganz leise.
    »Marie ist auf das Gerüst geklettert. Von ganz oben hat sie sich in die Tiefe gestürzt. Ein Unfall, so behauptete man später. Andere flüsterten, es sei das Bauopfer gewesen, das jede Kathedrale fordert. Aber ich wusste, dass es anders war. Ihre Augen ... Ich war nicht bei ihr. Ich habe sie nicht retten können. Nie werde ich mir das verzeihen. Was ich dann tat, wiegt weit weniger schwer!«
    Jetzt wagte er, sie sanft zu berühren. Zitternd ließ sie es zu.
    »Du hast ihn getötet. Darum pilgerst du zu Santiago«, sagte er ruhig.
    »Nicht mit Gift. Und auch nicht mit meinen Händen, obwohl ich es mir hundertmal vorgestellt habe. Aber mit Worten. Ich bin zu ihm gegangen und habe ihm alles ins Gesicht geschrien, bis ich heiser war und keinen Ton mehr herausbrachte. Gero hat Maries Begräbnis nur um wenige Tage überlebt. Dann hat er sich aufgehängt. Im Dachgeschoss unseres Hauses. Ich konnte dort nicht mehr bleiben ...«
    »Nein«, sagte Camino. »Das konntest du nicht.«
    »Deshalb die Sternenstraße. Ich bin weggelaufen. Hab ich jetzt alle beide auf dem Gewissen?« Ihre Augen waren tief wie nie zuvor. Sie sah ihn an, als hinge ihr Leben von seiner Antwort ab. »Mein schönes Kind, weil ich zu feige war, und auch meinen Mann?«
    »Es ist nicht an uns, zu richten«, erwiderte Camino. »Aber wir können den Unterschied erkennen zwischen dem Unrecht, das uns angetan wird, und dem, das wir anderen antun. Was auch geschieht, unser Leben ist und bleibt Wunder und Geschenk Gottes. Du musst dir zunächst selber verzeihen, Moira. Dann wird auch Er dir vergeben.«
    »Aber es ist so schwer«, wisperte sie. »Und es tut noch immer weh.«
    »Das weiß ich. Versuch es trotzdem. Du bist nicht allein.«
    Noch einmal blickte sie empor zu den Sternen. Dann schaute sie in sein Gesicht, bis sie schließlich die Spur eines Lächelns zu entdecken glaubte.
    »Hilf mir dabei«, sagte sie.
    *
    Er wies sie zurück, wie auch Ari sie zurückgewiesen hatte. Aber Armando war kein Löwe, sondern nur ein dummer,

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