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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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vergaß seine übliche Zurückhaltung und legte ihm den Arm um die Schultern wie ein Freund. Trauer schnürte auch ihm die Kehle zu. Estrella, die neugeborene Prinzessin, die er damals bei der Herrin gesehen hatte!
    »Verzeih!« Moira senkte den Kopf. »Wie sollte ich wissen, wer du wirklich bist! Es sieht so aus, als hättest du es selber nicht gewusst. Aber das sind alles nur Ausreden, Estrella. Ich hätte freundlicher zu dir sein sollen. Es tut mir Leid, dass ich so hartherzig über dich geurteilt habe.«
    Armando starrte stumm auf das helle Holz des Sarges, auf dem ein paar Blumen lagen. Sie hatte ihn verführt und damit in eine schwierige Lage gebracht, er hatte sich dagegen zu wehren versucht - aber zählte das jetzt noch? Estrella war so kraftvoll gewesen, so anziehend, so voller Leben! Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie für immer gegangen sein sollte.
    »Schwester«, sagte Pilar fast unhörbar. »Aus Eifersucht wollte ich nicht hören, was du mir zu sagen hattest. Aber ich verspreche dir beim heiligen Jakobus: Ich werde ihn lieben. Auch in deinem Namen. Ich weiß, was er dir bedeutet hat.«
    Zum Erstaunen aller hatte Camino der Toten das Ledersäckchen mit dem Smaragd nicht wieder umgehängt.
    »Aber er ist doch ihre Geburtsgabe«, wandte Moira ein. »Blancas Geschenk.«
    »Der grüne Stein soll nicht mit ihr begraben werden«, sagte Camino, »sondern mit uns leben, wie sie in unseren Herzen weiterleben wird. Vertraut mir. Ich weiß, was ich tue.«
    Estrellas Lachen, ihre Ungeduld, ihre Widerspenstigkeit, alle vermissten sie plötzlich.
    »Der Tod ist die letzte Schranke«, sagte Moira bedrückt. »Wir alle haben so wenig Bestand wie die Schatten, die eine Kerze an die Wand wirft. Man spürt es jedes Mal, wenn jemand geht. Estrella hat uns viel zu früh verlassen.«
    »Die Toten verlassen uns nicht.« Camino nahm ihre Hand. »Es sind deine eigenen Worte, die du mir auf der Meseta gesagt hast. Erinnerst du dich? Estrella wird keiner von uns jemals vergessen. Sie wird immer bei uns sein.«
    Im Westen wurde es heller; der Himmel begann aufzureißen.
    »Wir sollten aufbrechen«, sagte er. »Wir sind noch nicht am Ziel.«
    Schweigsam machten sie sich auf den Weg. Flachsfelder lagen unter ihnen. Disteln und Farnkraut streiften ihre Schuhe. Es war ein steiler Abstieg mit vielen scharfen Kehren, der ihre ganze Kraft und Aufmerksamkeit erforderte. Obwohl ab und zu die Sonne hervorblitzte, hielt sich über ihnen eine dunkle Wolkenfront, aus der sich immer wieder heftige Schauer ergossen.
    Bis auf die Haut durchnässt, erblickten sie schließlich die Strohdächer von Triacastela. Im kleinen Hospiz des Ortes erhielten sie Unterkunft und Abendessen. Sie hatten eine kürzere Strecke zurückgelegt als an vielen anderen Tagen, und doch fühlten sich alle ausgebrannt.
    »Morgen muss ich euch verlassen«, sagte Armando.
    Auf dem Gang zum Schlafsaal blieb Pilar abrupt stehen und neigte ihren Kopf in die Richtung, aus der sie seine Stimme vernommen hatte.
    »Morgen schon!« Ihre Enttäuschung war unüberhörbar.
    »Camino wird mir helfen, in Sarria ein Pferd zu besorgen, um auf dem kürzesten Weg nach Tomar zu reiten.«
    Schnell wandte sie sich ab. Er sollte nicht sehen, wie weh es ihr tat.
    »Bleib!« Er war jetzt nah bei ihr. »Ich reite zwar nach Tomar, aber sehr bald schon ...«
    Pilar legte einen Finger auf seine Lippen.
    »Versprich nichts«, sagte sie, »was du vielleicht doch nicht halten kannst. Denk an die frommen Männer. Ihnen warst du zuerst im Wort.«
    »Es wird ihnen nicht gefallen, was ich nach Hause bringe.« Er klang verzagt. »Sie haben so viel von mir erwartet. Und jetzt muss ich sie enttäuschen.«
    »Sei ehrlich und aufrichtig«, sagte Pilar. »Dann wird alles gut. Wenn du weißt, was du wirklich willst, werden sie dich verstehen.«
    »Ich weiß, was ich will. Ich will ...«
    Zärtlich legten sich ihre Finger abermals über seine Lippen.
    »Komm zurück«, sagte Pilar. »Dann werden wir beide es wissen.«
    Sie konnte nicht schlafen. Die ganze Nacht lauschte Pilar dem Stöhnen und Schnarchen der anderen Pilger, hörte, wie manche sich unruhig herumwarfen, während von anderen nicht ein Laut kam. Als der Morgen kam, fühlte sie sich bleiern müde. Am liebsten hätte sie sich die Decke über den Kopf gezogen und wäre einfach liegen geblieben.
    Nach der Morgensuppe brachen sie auf. Der Weg war von alten Laubbäumen gesäumt; Pilar hörte das schwere Rascheln, wenn der Wind durch die

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