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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Stände entdeckte ich Simon, den Juden mit dem roten Bart, der mir die Medizin gebracht hatte. Neben ihm stand eine zarte, dunkelhaarige Frau. Riwka, schoss mir durch den Kopf. Riwka, die sich vergeblich nach einem Kind sehnt.
    Erst wollte ich zu ihnen gehen, um mich für meine Heilung zu bedanken, als ich aber sah, dass Simon seine Frau umarmte, als wolle er sie vor der ganzen Welt beschützen, beschloss ich, es auf ein anderes Mal zu verschieben. Dann hatte ich wenigstens einen Vorwand, Consuelo bald wieder zu begleiten.
    Simons Mittel hatten Wunder bewirkt. Sogar mein Appetit begann sich zu regen. Neben mir roch es verführerisch.
    Ich deutete auf das Konfekt aus Mandeln und Rosenwasser, das auf feuchten Blättern angeboten wurde.
    »Siehst aus, als könntest du es brauchen«, sagte die Marktfrau. »Es wird deine blassen Wangen wieder rosig machen. Und deinen Liebsten glücklich!«
    Lächelnd biss ich hinein. Es war weich, süß und klebrig. Ich erstarrte.
    »Blanca«, sagte eine leise Stimme. Der Vorwurf, der in ihr schwang, war unüberhörbar. »Mitten auf dem Markt! Ich bin überrascht, dich hier zu sehen.«
    Diego! Mein Kerkermeister war zurück.
    Neben ihm stand ein Mann mit wächsernem Gesicht und schwarzen Augen. An der Hand hielt er ein mageres Mädchen, das eng zusammenstehende Hasenzähne hatte.
    »Roger.« Ich konnte seinen scharfen Schweiß riechen. »Und das ist Angelita. Mein kleiner Engel.«
     

 
ZWEITES BUCH
DER WEG

 

     
    Einsiedeln, April 1246
     
    Die Kraft der Schwarzen Madonna erfüllte das gewaltige Kirchenschiff, und Pilar spürte sie als Widerhall im ganzen Körper. Vertraut fühlte es sich an, stärkend und belebend, am vieles intensiver als in der niedergebrannten Turmkapelle. Sie war überzeugt, dass Strahlen von der Statue ausgingen, wie auch die Muttergottes in der kleinen Nische ihres Elternhauses manchmal geleuchtet hatte. Aber es gab niemanden, den sie danach hätte fragen können, denn der schweigsame Mönch, der sie hereingeführt hatte, war schnell wieder verschwunden. Bald schon würde das Magnificat erklingen und die Kirche sich mit Gläubigen füllen. Von Tag zu Tag wachse ihre Zahl, hatte man ihr erzählt, als sie ihr Gepäck in der Pilgerherberge neben dem Kloster abgeladen hatten, weil die Pässe wieder begehbar waren und sich daher immer mehr Menschen auf den Weg nach Einsiedeln machten.
    Tariq hatte sich geweigert, die Gnadenkapelle zu betreten. »Dieses Mal gehst du ohne mich, mi niña«, hatte er gesagt und war weder durch Bitten noch Betteln von seiner Entscheidung abzubringen gewesen. »Ich warte draußen. Lass dir Zeit! Wir sollten ohnehin ein Weilchen ausruhen, bevor wir weiterziehen.«
    Jetzt war sie froh, dass er nicht nachgegeben hatte.
    So konnte sie mit der Statue allein sein. Vielleicht brauchten Sehende Mut, sich ihr zu nähern, weil Schwarz die Farbe der Dämonen und Teufel war. Doch Pilar fühlte sich im Dunkel heimisch, wenngleich sie die Sehnsucht nach dem Tag niemals verloren hatte.
    »Werde ich jemals dein Gesicht sehen können?« Überrascht lauschte sie den Worten nach, die sie vor sich hingemurmelt hatte, anstatt den Rosenkranz zu beten. »Ich rede nie darüber«, sagte sie leise. »Außer zu Tariq. Aber du weißt, was mich bewegt.«
    Alles blieb still, aber sie glaubte doch eine sanft aufsteigende Wärme zu spüren, was ihr als Antwort genügte.
    »Mit meinem Herzen kann ich dich sehen«, fuhr Pilar nun mutig fort. »Du bist aus Holz geschnitzt und sitzt auf einem Thron. Auf dem Schoß hältst du das Jesuskind. Ich glaube, deine Hände sind sehr groß. Du segnest uns. Dein Gesicht ist ernst, aber ich kann das Lächeln in deinem Herzen spüren. Du kennst all unsere Kümmernisse. Wer sollte dir etwas vormachen?«
    Langsam war sie ein weiteres Stück nach vorn gegangen. Ihr Stock klopfte hart auf den Steinboden.
    »Wieso merken wir immer erst, was wir besaßen, wenn wir es verloren haben?«
    Die Worte kamen wie von selbst. Es tat gut, sie auszusprechen, und doch bildete sich ein schmerzhafter Knoten in ihrer Brust.
    »Meine Mutter hat uns verlassen. Und jetzt ist Papa umgekommen. Ich vermisse die beiden so sehr! Zu Hause hab ich es nicht mehr ausgehalten.« Sie hatte sich vorgenommen, nicht zu weinen, aber jetzt flossen doch Tränen. »Dabei gibt es mein Zuhause gar nicht mehr. Alles verbrannt. Ich hoffe immer noch, es ist nur ein böser Traum, aus dem ich wieder erwachen werde. Aber es ist kein Traum. Sondern wahr.«
    Sie presste die Lippen

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