Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Schatten der Bäume, fort von dem Geruch nach Tod und Vachel Carmouches Blut, der sich anscheinend in sämtlichen Dielen und Brettern festgesetzt hatte. Vielleicht sollte ich Passion und Letty Labiche nicht immer nur als Opfer betrachten. Manchmal, redete ich mir ein, erfordert es mehr Mut, sich aus dem Kummer anderer Leute herauszuhalten, als Anteil daran zu nehmen.
Ich spürte einen kalten Luftzug, der aus dem Boden drang, sah den Riss im Linoleum, das vermoderte Dielenbrett darunter und die Wasserlache unter dem Haus, in der Purpurschwalben badeten. Dann wurde mir klar, dass die Vögel nicht durch den Kamin eingedrungen waren. Doch ich bemerkte noch etwas anderes. Einer der Bimssteinblöcke, auf denen das Haus stand, war orangerot verfärbt, wie mit einer Rostschicht überzogen, die aus dem aufliegenden Querbalken suppte.
Ich ging hinaus, legte mich auf den Bauch und kroch unter das Haus. Knapp einen Meter hinter der Rückwand, zwischen Querbalken und Bimssteinblock, steckte eine Sichel. Ich hebelte sie heraus und kroch wieder nach draußen in den Sonnenschein. Der Holzgriff war noch stabil, aber in die Klinge hatte der Rost tiefe Löcher gefressen.
Ich steckte die Sichel mit dem Griff voran in eine Klarsichttüte und klopfte an Passions Tür.
»Das ist das Werkzeug, von dem die Blutspuren am Boden und an der Decke stammen. Letty hat mit der Haue auf ihn eingeschlagen, und Sie haben das hier genommen«, sagte ich, als Passion an die Tür kam.
»Sieht aus wie ein Stück Alteisen«, sagte sie.
»Ich bin hierher gekommen, weil ich mich Ihrer Schwester verpflichtet fühle. Aber ich habe weder Zeit noch Lust, mir weiter euren Blödsinn anzuhören. Ich werde Little Face Dautrieve als wichtige Zeugin festnehmen und ihr das Leben schwer machen. Sie bleibt so lange im Gefängnis, bis sie mir erzählt, was passiert ist, und in der Zwischenzeit kümmert sich der Sozialdienst um ihr Baby. Wollen Sie, dass es darauf hinausläuft?«
»Haben Sie heut schon die Zeitung gelesen?«, fragte sie.
»Nein.«
»Der Oberste Gerichtshof will Letty keine weitere Berufungsmöglichkeit gewähren. Wenn Belmont Pugh das Urteil nicht umwandelt, wird sie sterben. Sie wollen wissen, was passiert ist? Ich erzähl’s Ihnen. Danach können Sie in Ihr Büro zurückgehen und damit machen, was Sie wollen.«
Ihr Gesicht war fahl, und ihre Augen wirkten im Zwielicht, das im Haus herrschte, seltsam entrückt, so als erkannte sie die Worte nicht wieder, die sie soeben ausgesprochen hatte. Aber ich spürte mit einem Mal, dass von meinem Triumphgefühl nur ein schaler Nachgeschmack bleiben würde. Sie musterte mich durch das Fliegengitter, stieß dann die Tür auf und wartete darauf, dass ich eintrat.
Acht Jahre zuvor schauten Passion und Letty Labiche aus dem Fenster und stellten bestürzt fest, dass ihr Nachbar, Vachel Carmouche, zurückgekehrt war. Sie waren der Meinung gewesen, er gehöre ein für alle Male der Vergangenheit an, einer Welt aus Träumen und abartigen Erinnerungen, die mit der Zeit vergingen und jetzt, da sie erwachsen waren, keinerlei Auswirkungen mehr auf ihr Leben hatten. Jetzt sahen sie zu, wie er mit einem Hochdruckschlauch die Vogelnester von der Galerie spritzte und mit seinen Gummistiefeln die kleinen Eier zermalmte; sie sahen, wie er die Sperrholzplatten von den Fenstern stemmte, im Schatten Limonade trank, immer nur einen kleinen Schluck, als geizte er selbst mit den Genüssen, die er sich gönnte, wie er den Gemüsegarten umgrub, ohne dass sich ein Schweißfleck auf seiner gestärkten und gebügelten grauen Arbeitskleidung oder der grauen Stoffkappe abzeichnete, so als ob er kraft der Härte und Unerbittlichkeit, die sein Dasein prägten, seine Drüsensekrete im Griff hätte.
Sie verließen das Haus und gingen Lebensmittel einkaufen, hofften, dass er vielleicht wieder weg wäre, wenn sie zurückkamen, und auf dem Hof ein Schild stand, mit dem er Nachmieter suchte. Stattdessen sahen sie, wie er seine Habseligkeiten in das Haus schleppte, ohne Passion und Letty auch nur eines Blickes zu würdigen, so als wären sie nicht da. Sie sahen, wie er eine reife Wassermelone spaltete und sich mit einem selbstzufriedenen, genüsslichen Glanz in den Augen mit der Messerklinge große Brocken in den Mund schob. Am späten Nachmittag, als die Schatten länger wurden, sahen sie, wie er mit einer Sichel das Unkraut in seinem Vorgarten mähte, den Grill anschürte und einen Schweinebraten auf den Spieß steckte; sie sahen, wie er
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