Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Haare zurück und wischte ihr dann mit den Fingerrücken die Tropfen aus dem Mundwinkel. Er küsste sie auf die Stirn, schaufelte einen weiteren Löffel voll Eis und legte eine frische Erdbeere darauf. Sie öffnete den Mund wie ein Vogel, er aber zog den Löffel rasch zurück, hielt ihn ihr wieder hin und zog ihn erneut zurück, ein ums andere Mal, bis er ihn schließlich in ihren Mund schob und den Löffelstiel anhob, damit das geschmolzene Eis nicht auf ihr Kinn tropfte.
Letty stürmte barfuß die Treppe hinab, riss sich an einem vorstehenden Nagelkopf die Fußsohle auf. Sie holte ein Paar Arbeitsschuhe aus dem Kleiderschrank im Erdgeschoss, stützte sich mit einem Arm an der Wand ab und zog sie an.
»Er hat früher eine Schrotflinte gehabt«, sagte Passion.
»Wenn er sie anrührt, schieb ich sie ihm in den Arsch. Kommst du mit oder nicht?«, sagte Letty.
Sie gingen durch die Hintertür hinaus, ins Zwielicht, in den Duft nach Frühling und gemähtem Gras, nach frisch umgestochener Erde und nachts blühenden Blumen, die sich in der kühlen Abendluft öffneten. Sie liefen über Vachel Carmouches Grundstück, gingen davon aus, dass er mit dem Mädchen auf der hinteren Veranda saß, wollten ihn dort zur Rede stellen, mit bitteren Worten einer Tat beschuldigen, die er in aller Offenheit begangen hatte und unmöglich leugnen konnte, einer Tat, die er einem weiteren Opfer angetan hatte, als ob das Wissen darum, dass sie selbst missbraucht worden waren, nicht genügte, dass es ihnen erst durch das Leid eines anderen Menschen bestätigt werden musste, damit sie es glauben konnten.
Aber Carmouche war nirgendwo zu sehen. Das Mädchen saß auf der Hintertreppe und malte mit Buntstiften.
»Was hat er mit dir gemacht, Liebes?«, sagte Letty.
»Nix hat er gemacht. Er is reingegangen und isst zu Abend«, erwiderte das Mädchen.
»Hat er dich angefasst?«, sagte Passion.
Das Mädchen schaute sie nicht an. Eine funkelnde Silbermünze lag neben ihrem Schuh.
»Mr. Vachel fährt mit mir zum Videoladen und besorgt mir ein paar Comics«, sagte sie.
»Du kommst mit uns. Wir rufen deine Tante an«, sagte Letty.
»Die is in der Arbeit. Ich soll mit niemand mitgehen außer Mr. Vachel.«
Letty stieg die Treppe hinauf und stieß die Hintertür auf.
Carmouche saß kerzengerade am Küchentisch, wirkte genauso kantig wie sein Stuhl und führte gerade die Gabel zum Mund. Er legte sie hin und griff zu einem mit gelbem Wein gefüllten Glas.
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie meine Privatsphäre respektieren würden«, sagte er.
»Du Hurensohn«, sagte sie und trat ins Haus. In diesem Moment löste sich der Gürtel, den sie um die Taille geschlungen hatte, und ihr Bademantel klaffte auf.
Carmouche ließ den Blick über ihre Brüste, den Bauch und die Schenkel schweifen. Er trank einen Schluck Wein, schob seinen Stuhl zurück und schlug die Beine über.
»Man sagt, der Hass ist die Kehrseite der Liebe. Du bist eine wunderschöne Frau, Letty. Ein alter Mann kann einer Frau Freuden bereiten, die ihr ein jüngerer nicht bieten kann«, sagte er, und seine Stimme wurde mit jedem Wort heiserer.
Er stand auf und kam auf sie zu, stierte sie im Schein der nackten Glühbirne mit glänzenden Augen an. Sie raffte ihren Bademantel mit einer Hand zusammen und wich zurück, trat dann mit ihren Arbeitsschuhen auf das Blatt einer Haue, die hinter ihr an der Wand lehnte, und schlug sich den Griff an den Rücken.
Sie langte hinter sich, ergriff die Haue mit beiden Händen, ohne darauf zu achten, dass ihr Mantel wieder aufklaffte, und hieb sie ihm ins Gesicht.
Der Blutstrahl, der aus seiner gebrochenen Nase schoss, spritzte ihm über die Schulter. Ungläubig starrte er sie an, worauf sie erneut zuschlug, diesmal mitten auf den Mund, auf die vorstehenden Schneidezähne. Sein Gesicht zuckte, als hätte man ihm einen Stromstoß verpasst, zog sich in tausend Fältchen, dann straffte es sich wieder vor Wut, und er drang mit den Fäusten auf sie ein.
Er drosch wild um sich, wie ein Mädchen, aber er war kräftig, getrieben vom Schmerz und den Wunden, die sie ihm im Gesicht zugefügt hatte, und sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er ihr die Haue entwand.
Er schlang die Hände um den Griff, während ihm das Blut aus Mund und Nase strömte und seine abgebrochenen Zähne wie Porzellansplitter aus dem Gaumen ragten. Sie schloss die Augen, als ihr sein Atem entgegen schlug.
Passion ergriff die Sichel, die auf der Verandatreppe lag,
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