Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
erschossen. Das haben Sie doch gesehen. Daran gibt’s überhaupt keinen Zweifel ... Okay?«
Wie im Traum, so als träfe sie jetzt keine bewusste Entscheidung mehr, stieg sie von der kleinen Galerie herab und trat in das grüne Licht, das von den Feldern zum Himmel aufzustrahlen schien.
»Ladrine war ein anständiger Mann. Er war nicht wie sein Bruder. Er war gut zu den Leuten. Ihr habt ihn umgebracht«, sagte sie.
»Ja. Weil es sein musste ... Stimmt das etwa nicht?«
»Ich heiße Mae Robicheaux. Mein Junge hat in Vietnam gekämpft. Big Aldous Robicheaux war mein Mann. Auf dem Ölfeld gab’s nicht einen, der sich mit Big Aldous angelegt hat.«
»Wir bringen Sie zu der Stelle, wo Ladrine gestorben ist, und erklären Ihnen, was passiert ist. Steigen Sie ins Auto, Ma’am.«
»Ich weiß, was ihr vorhabt. Ich hab keine Angst mehr vor euch. Mein Junge wird euch finden. Ihr werdet schon sehen. Davonlaufen und verstecken werdet ihr euch, wenn ihr meinen Jungen seht.«
»Du willst dich also stur stellen, du dummes Miststück, was?«, sagte der Polizist und schlug sie zu Boden.
Er knöpfte seinen Regenmantel auf und schlug ihn von der Waffe in seinem Holster zurück. Er stemmte die Fäuste in die Hüfte und mahlte mit der Kinnlade, während sein Mantel im Wind flatterte. Dann trat ein entschlossener Blick in seine Augen, und er atmete durch die Nase aus, als fügte er sich einer Welt, der er bei aller Verachtung zu dienen hatte.
»Hilf mir dabei«, sagte er zu dem anderen Polizisten.
Maes Gesicht war weiß und starr, als sich die beiden Polizisten im grünen Abendlicht, im Geschrei der kreisenden Möwen über sie beugten und sie unbarmherzig wie zwei Riesenkrabben ergriffen.
22
A m nächsten Tag faxte mir das Sheriff’s Department des Bezirks Lafourche sämtliches Aktenmaterial, das über Ladrine Theriots Tod im Jahr 1967 vorlag. Der Tatortbericht war voller Rechtschreibfehler und unvollständiger Sätze, aber immerhin wurde dort der Name des Schützen aufgeführt – ein gewisser Bobby Cale, der zeitweise als Constable, Rausschmeißer in einer Bar und Geldeintreiber für eine Kreditagentur tätig war.
Ich rief den Sheriff in Lafourche an.
»Der Constable war nicht der Schütze«, sagte ich.
»Sagt wer?«, erwiderte er.
»Eine Frau namens Mae Guillory hat alles mit angesehen.«
»Regen Sie sich über irgendwas auf?«
»Schaun Sie«, sagte er, als ich nichts erwiderte, »ich hab die Akte gelesen. Der Constable wollte einen Haftbefehl vollstrecken, und Ladrine Theriot hat eine Waffe gezogen. Warum sollte der Constable die Verantwortung für eine Schießerei übernehmen, mit der er nichts zu tun hatte?«
»Weil man es ihm befohlen hat. Zwei andere Cops waren dabei. Sie haben dem Toten eine nicht registrierte Waffe in die Hand gedrückt.«
»Da kann ich nichts zu sagen. Ich war zehn Jahre alt, als das passiert ist. Gehen euch in New Iberia etwa die ungeklärten Fälle aus?«
»Wo steckt Bobby Cale jetzt?«
»Wenn Ihnen danach ist, kann ich Ihnen den Weg zu seinem Haus beschreiben. Oder Sie erkundigen sich beim Gesundheitsamt danach.«
»Wenn mir danach ist? Was soll das heißen?«
»Vielleicht sind es ja seine Sünden, die ihn inwendig zersetzen. Überzeugen Sie sich selber. Fragen Sie sich, ob Sie mit ihm tauschen möchten«, sagte der Sheriff des Bezirks Lafourche.
Ich fuhr mit meinem Pick-up nach Morgan City, dann tief in den Bezirk Terrebonne hinein, in Richtung Golf, fast bis nach Point au Fer. Der Himmel war grau und voller ziehender Wolken, und ich konnte die salzige Gischt im Wind riechen. Ich fuhr eine unbefestigte, mit tiefen Schlaglöchern übersäte Straße entlang, zwischen dichten, mit Kletterranken verhangenen Laubwäldern hindurch, deren Boden mit wuchernden Palmettobüscheln und grauem Laub bedeckt war. Die Straße endete bei einer düsteren, mit einem Blechdach gedeckten Zypressenhütte, deren Wände vom Regenwasser schwarz gestreift waren. Ein Mann, dessen Bauch wie ein zermatschter weißer Kuchen aus dem Hemd quoll, saß auf der vorderen Veranda und hatte eine Gitarre flach auf dem Schoß liegen.
Als ich aus dem Laster stieg, beugte sich der Mann vornüber, nahm einen Strohhut von der Verandaschaukel und schob ihn sich tief in die Stirn. Im Schatten sah er mit seiner ausgeblichenen, verfärbten Haut aus wie ein Albino, der in blauer Tinte gebadet hat. Er hatte Stahlplektrons auf den Fingern der rechten Hand stecken und einen abgesägten und glatt geschliffenen Flaschenhals auf dem
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