Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Steinsalz und Eis in eine mit einer Handkurbel betriebene Eismaschine packte und einem zwölf Jahre alten schwarzen Mädchen einen Vierteldollar gab, damit es die Kurbel betätigte. Sie sahen, wie er ihr die Münze in die Hand drückte, die Finger über ihre Faust hielt und auf sie herablächelte, während sie zu ihm aufblickte, die Augen nur Zentimeter von der glänzenden Schnalle seines Cowboygürtels, dem flachen Bauch und der trockenen Hitze entfernt, die seine Kleidung verströmte.
Letty ging mit einer Papiertüte auf den Hof, lief zwischen den Bäumen vor dem Haus hin und her und sammelte Papierfetzen ein, die von der Straße geweht worden waren. Sie wartete, bis Carmouche ins Haus ging und rief dann das kleine Mädchen zu sich.
»Was machst du hier?«, fragte sie.
»Ich besuch meine Tante, die oben an der Straße wohnt«, erwiderte Little Face.
»Geh wieder nach Haus. Halt dich von dem weißen Mann fern.«
»Meine Tante hat mich hier gelassen. Mr. Vachel is ihr Vermieter.«
Letty kauerte sich hin und schaute Little Face in die Augen.
»Hat er dich angefasst? Hat er seine Hände irgendwo hingetan, wo es sich nicht gehört?«, sagte sie.
»Nein, Ma’am. So einer is er nicht.«
»Jetzt hör mir mal zu –«, setzte Letty an und fasste das Mädchen am Arm. Dann blickte sie an Little Faces Kopf vorbei auf die Silhouette von Vachel Carmouche, der jetzt in der Auffahrt stand, sah das Laub, das um seine Schuhe wirbelte, und den Abendmond, der wie eine rosa Waffel hinter ihm am Himmel hing.
Mit zwei Fingern kniff er die Krempe seiner Stoffkappe zusammen.
»Lange nicht gesehen. Sie sind eine hübsche Frau geworden, Miss Letty«, sagte er.
»Weshalb sind Sie zurückgekommen?«, sagte sie.
»Hier wird allerhand gebaut. Ein gelernter Elektriker kann derzeit eine Menge Geld verdienen.«
»Nehmen Sie Ihre gottverdammten Füße von meinem Grund und Boden«, sagte sie.
»Vielleicht sind Sie jetzt ja rechtschaffen. Aber Sie und Ihre Schwester haben immer mit dem Hintern gewackelt, wenn ihr irgendwas gewollt habt.«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich Sie hasse«, sagte Letty und richtete sich wieder auf.
»Das, was Sie hassen, sind Ihre eigenen Sünden. Denken Sie mal nach, Letty. Können Sie sich noch dran erinnern, wie Sie auf dem Rasen immer Rad geschlagen, mir zugegrinst und rumgekichert haben? Sie waren dreizehn, als Sie das gemacht haben. Und jetzt wollen Sie mich im Beisein eines Kindes schmähen und Gottes Namen missbrauchen.«
Carmouche fasste Little Face an der Hand und führte sie auf sein Grundstück zurück. Die weißen Maisstärkestreifen, die in seine graue Hose eingebügelt waren, erinnerten Letty an etwas, beschworen ein Bild herauf, vor dem sie die Augen verschließen musste.
Letty arbeitete im Garten hinter dem Haus, harkte das trockene Winterkraut zusammen, stieß den Spaten tief in das schwarze Erdreich und empfand ein sonderbares Vergnügen, wenn das Blatt eine Schnecke zermalmte oder einen Regenwurm entzweischnitt. Als ihr Flanellhemd schweißgetränkt war, schleuderte sie den Spaten zu Boden, ging ins Haus und duschte sich mit heißem Wasser, bis ihre Haut rot und rau wie ein alter Ziegel war.
»Morgen unternehmen wir was gegen ihn«, sagte Passion.
»Was denn?«, sagte Letty, während sie den Gürtel um ihren Frotteebademantel band.
»Den Sozialdienst anrufen. Ihnen von dem kleinen Mädchen erzählen.«
»Vielleicht helfen sie ihr genauso, wie sie uns geholfen haben, was?«
»Was willst du denn sonst machen? Ihn umbringen?«, sagte Passion.
»Ich wünschte, ich könnte es. Ich wünsch es mir wirklich.«
Passion ging zu ihrer Schwester und legte die Arme um sie. Sie roch den Rosenduft in ihrem Haar.
»Alles wird wieder gut. Wir können dafür sorgen, dass er wegzieht. Wir sind jetzt erwachsen. Er kann uns nichts mehr antun«, sagte sie.
»Ich möchte ihn büßen lassen.«
Passion drückte Letty an sich, streichelte ihren Rücken, spürte den Atem ihrer Schwester an ihrem Hals. Vom Fenster im ersten Stock aus konnte sie auf Vachel Carmouches Garten hinabschauen. Mit einem Mal prickelte ihr das ganze Gesicht, und ein galliger Geschmack stieg ihr in den Mund.
»Was ist los?«, sagte Letty und trat einen Schritt zurück, als sie die Miene ihrer Schwester sah. Sie drehte sich um und schaute hinab auf Varmouches Garten.
Er hatte Little Face auf dem Knie sitzen und fütterte sie mit Eiscreme. Jedes Mal, wenn er ihr den Löffel zwischen die Lippen schob, strich er ihre
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