Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
habe, habe ich es trotzdem getan«, sagte sie.
Die Schachtel war mit Papiertüchern ausgepolstert und enthielt eine etwa fünfzehn Zentimeter hohe Keramikvase, die mit einer von Kletterrosen umrankten Miniatur bemalt war – ein Soldat der Konföderierten und eine Frau in einem Reifrock, die in einem Eichenhain standen und einander an der Hand hielten. Die bis ins kleinste Detail genaue Darstellung und das Wechselspiel der Grau-, Rot- und Grüntöne unter der Glasur waren wunderschön anzusehen.
Der beiliegende Brief, von Hand auf teurem Papier geschrieben und ordentlich zusammengefaltet, lautete:
Liebe Alafair,
ich hoffe, du denkst inzwischen nicht allzu schlecht von mir. Dein Vater sorgt sich um dich und möchte dich beschützen, deshalb werfe ich ihm seine Einstellung mir gegenüber nicht vor. Dies ist die Vase, an der ich gearbeitet habe. Ich habe versucht, das Mädchen so zu malen, dass es wie du aussieht. Was hältst du davon? Das Gesicht des konföderierten Soldaten kannst du nicht erkennen. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wer er ist.
Ich wünschte, ich hätte zu der Zeit gelebt wie der Soldat und das Mädchen auf der Vase. Die Leute waren damals anständig, hatten Ehrgefühl und haben sich umeinander gekümmert.
Du bist einer der besten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Ich verspreche dir, dass ich immer für dich da sein werde, wenn du mich brauchst. Von diesem Versprechen wird mich niemand abbringen können.
Dein ergebener Freund aus der Bibliothek
Johnny
»Wo ist sie?«, fragte ich.
»Am Swimming-Pool.« Bootsie betrachtete mein Gesicht. »Was denkst du?«
»Der Junge hört eindeutig nicht zu.«
Ich kehrte ins Büro zurück und rief ein weiteres Mal den Psychologen im Staatsgefängnis von Florida in Raiford an. Es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, dass ich mit einem dieser herablassenden, unfähigen Bürokraten sprach, deren einziger Daseinszweck darin besteht, sich an ihren Posten zu klammern und ihre fehlende Befähigung zu kaschieren.
»Sie fragen mich, ob er Obsessionen hat?«, sagte der Psychologe.
»Mit einem Wort: ja.«
»Wir verfügen nicht über das entsprechende Vokabular, mit dem sich beschreiben ließe, was manche dieser Menschen haben.«
»Davon müssen Sie mich nicht eigens überzeugen«, sagte ich.
»Er wurde hier eines Mordes verdächtigt. Jemand hat eine Benzinbombe in die Zelle eines anderen Häftlings geworfen. Ihr Mann wurde vermutlich vergewaltigt. Wir haben Ihnen alles zugefaxt, was wir vorliegen haben. Ich weiß nicht, was ich Ihnen sonst noch sagen soll.«
»Einen Moment mal. Sie haben ihn nicht gekannt?«
»Nein. Ich dachte, das wäre Ihnen klar. Dr. Louvas hat mit O’Roarke gearbeitet, beziehungsweise mit Remeta, wie Sie ihn nennen. Dr. Louvas ist jetzt in Marion.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich etwas ungehalten klinge, aber warum haben Sie mir das nicht gesagt?«
»Sie haben nicht gefragt. Gibt es sonst noch was?«
Ich rief im Bundesgefängnis von Marion, Illinois, an, und bekam Dr. Louvas an den Apparat. Er war aus einem anderen Holz geschnitzt als sein Kollege in Florida.
»Ja, ich kann mich gut an Johnny erinnern. Genau genommen mochte ich ihn sogar. Ich würde allerdings nicht vorschlagen, ihn zum Essen einzuladen«, sagte er.
»Wie meinen Sie das?«
»Er hat zwei oder drei Persönlichkeiten. Oh, ich meine damit nicht, dass er an einer Bewusstseinsstörung leidet oder diesem Zeug wie in Eva mit den drei Gesichtern. Bei ihm liegt ein ständiger Wutstau vor, mit dem er sich nicht auseinander setzen will. Wenn er früher Hilfe bekommen hätte, wäre aus ihm vielleicht ein Schriftsteller oder Künstler geworden statt ein Kandidat fürs Irrenhaus.«
»Weil er im Gefängnis vergewaltigt wurde?«
»Sein Vater hat ihn immer in eine Schwemme im Rotlichtbezirk mitgenommen. So nennt man in Detroit die Nachtlokale, in denen es keine Sperrstunde gibt. Johnnys Aussagen zufolge nahmen ihn sich dort zwei Pädophile vor, während sein Vater sich auf deren Kosten betrank. Um die so genannten sittlichen Werte machte man seinerzeit im Raum Detroit noch kein großes Trara.«
»Er hat also wegen seinem Vater einen Knacks weg?«
»Das haben Sie völlig missverstanden, Mr. Robicheaux. Er gibt seinem Vater keine Schuld an dem, was ihm widerfahren ist. Er glaubt, seine Mutter hätte ihn im Stich gelassen. Seiner Auffassung nach hat sie versagt, und darüber ist er nie hinweg gekommen.«
»Er macht meiner Tochter Avancen.«
Er gab mir keine
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