Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
jedes Jahr zum Sommerausklang unten an der Bucht statt. Am späten Freitagnachmittag, als es kühler wurde und das erste Abendrot am Himmel leuchtete, ließen die mit Wimpeln und Flaggen geschmückten Krabbenkutter im Kanal ihre Hörner erklingen, worauf ein Priester die ganze Flotte weihte, während Tausende von Menschen mit Bierbechern und Pappschalen voller Shrimps in der Hand an den Jahrmarktsbuden vorbeischlenderten. Collegestudenten, Arbeiter und Politiker aus dem ganzen Staat nahmen daran teil. Im Lärm der Drehorgeln, dem Knallen der .22er Büchsen an den Schießständen und den ausgelassenen Schreien, die vom Riesenrad schallten, wirkten die Festgäste wie Gestalten auf einem Gemälde von Pieter Bruegel, als ob jede Ahnung um die eigene Sterblichkeit in der lauen Sommerluft verflogen wäre.
Belmont Pugh war da, desgleichen Jim Gable mit seiner Frau, und beim Taifun-Rad sah ich Connie Deshotel in einem tief ausgeschnittenen Abendkleid, ein paar silberne Schuhe in der einen Hand, die andere auf den Arm ihres Begleiters gestützt.
Doch die Gestalt, auf der mein Blick hängen blieb, hielt sich außerhalb des Getöses und der flimmernden Lichter zwischen den Buden auf. Micah, Cora Gables Chauffeur, saß auf einem zusammenklappbaren Segeltuchstuhl neben Gables Limousine, warf mit Erdbrocken auf eine Bierdose und hatte den Mund offen stehen, als wäre es ihm egal, was andere von seinem Aussehen oder Geisteszustand hielten. Ein zusammengerolltes Comic-Heft ragte aus der Seitentasche seiner Jacke.
Ich ließ Bootsie beim Getränkepavillon, ging auf den Parkplatz und blieb knapp einen Meter vor ihm stehen. Er hob die Augen, schmiss dann mit ungerührter Miene einen weiteren Erdklumpen auf die Dose.
»Sie sehen aus, als ob Sie Trübsal blasen, mein Freund«, sagte ich.
Er verzog den Mund, als wollte er Essensreste aus den Zähnen saugen. »Ich höre Ende der Woche auf«, erwiderte er.
»Sie arbeiten nicht mehr für Mrs. Gable?«
»Sie ist der Meinung, ihr wärt ihr frech gekommen. Es war ein Missverständnis. Aber ich nehme an, ihrem Mann kommt es gelegen.«
»Frech gekommen?«
»Wir sind an all den Hütten vorbeigefahren, wo früher die Zuckerrohrarbeiter gewohnt haben. Miss Perez sagt zu sich: ›Die Glorie, die Rom einst war.‹
›Viel Glorie war das bestimmt nicht, sag ich darauf.
›Wie bitte?‹ sagt sie.
Und ich sage: ›Die Reichen haben die armen Weißen gegen die Farbigen kämpfen lassen, damit die ganze Bande fast umsonst arbeitet, während die Reichen immer reicher geworden sind.‹ Im Auto ist es totenstill geworden.«
»Klingt, als ob Sie einen wunden Punkt berührt hätten, Micah«, sagte ich.
»Das müssen Sie mir sagen«, erwiderte er ärgerlich. »Ich hab in den Rückspiegel geschaut und ihr verkniffenes Gesicht gesehen, so als ob sie eine Ohrfeige gekriegt hätte. ›Dieses Land gehörte meiner Familie‹, sagt sie. ›Also behalten Sie Ihre Meinung lieber für sich.‹«
Er zog das Comic-Heft aus seiner Tasche und schlug es in die offene Hand, als ob ihn wieder die Wut packte, ohne dass er jemanden fand, an dem er sie auslassen konnte.
»Meiner Ansicht nach reicht das nicht aus, um jemanden zu feuern«, sagte ich.
»Gable behandelt sie in letzter Zeit ganz anständig. Ich glaube, sie gibt ihm das Geld, damit er die Rennbahn in New Mexico bauen kann. Ich hab zur falschen Zeit den Klugscheißer markiert und ihm einen Vorwand geliefert, mich rauszukegeln.«
»Haben Sie Axel Jennings das Gesicht zerschnitten, Micah?«
Er schlug das Comic-Heft auf seinem Knie auf und blätterte die Seiten um, dachte nach. Im Schein der Jahrmarktsbuden wirkte sein entstelltes Gesicht wie ein kandierter Apfel, von dem die Zuckerkruste schmilzt.
»Sie versuchen immer noch ein Stück mehr rauszuholen, nicht wahr? Ich biete Ihnen was Besseres«, sagte er. »Kennen Sie eine Frau namens Maggie Glick, die in Algiers eine Bar mit lauter farbigen Huren betreibt? Jim Gable hat sie aus dem Gefängnis geholt. Gable hat ein ganzes Netz von Huren und Drogendealern, die für ihn arbeiten. Das ist der Mann, der bald der Leiter von eurer Staatspolizei wird, Mr. Robicheaux. Wenn Sie Ihr Blatt richtig ausspielen, springt vielleicht auch für Sie irgendwo ein beschissener kleiner Posten raus.«
Lächelnd verzog er den Mundwinkel, und sein heiles Auge funkelte auf.
»Manche Menschen genießen die Rolle des Opfers. Vielleicht haben Sie endlich gefunden, was Sie gesucht haben«, sagte ich und ging weg, fragte mich dabei,
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