Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
überall standen exotische Palmen herum. In den staatlichen Krankenhäusern Großbritanniens findet man nur in den Räumen der Oberschwestern so etwas wie einen Teppich oder einen Farbfernseher. Als ich vor Jahren in einem solchen NHS-Krankenhaus gearbeitet habe, schlich ich mich eines Nachts in das Zimmer der Oberschwestern und sah mich um. Es war wie im Wohnzimmer der Queen, voll samtiger Möbel und halb leerer Schachteln Milk-Tray-Schokolade.
Die Patienten schliefen dagegen unter nackten Glühbirnen in kalten, widerhallenden Schlafbaracken. Tagsüber vertrieben sie sich die Zeit mit Puzzlespielen, denen mindestens ein Fünftel der Teile fehlte, und warteten auf das Rudel von Ärzten und Studenten, das alle vierzehn Tage auf eiliger Visite für zwanzig Sekunden in die Einförmigkeit ihrer Stunden platzte. Aber das ist lange her. Inzwischen sind auch in NHS-Krankenhäusern rosigere Zeiten angebrochen.
Verzeihung. Mir scheint, ich schweife gehörig vom Thema ab. Statt Sie durch Wisconsin zu führen und Ihnen Wissenswertes über Amerikas führenden Staat in Sachen Milchwirtschaft zu erzählen, ergehe ich mich überflüssigerweise in unkonstruktiven Anmerkungen über das amerikanische und das britische Gesundheitswesen. Kehren wir also endlich zum Thema zurück.
Wie ich schon sagte, ist Wisconsin Amerikas führender Lieferant von Molkereierzeugnissen. Hier werden siebzehn Prozent des amerikanischen Bedarfs an Käse und Milchprodukten erzeugt.
Menschenskind, dabei sind mir gar nicht so viele Milchkühe aufgefallen, als ich durch die wogende Weite des Staates brauste. Stundenlang fuhr ich nach Süden, vorbei an Green Bay, Appleton und Oshkosh, und dann nach Westen in Richtung Iowa. Dies war das typische Farmland des Mittleren Westens, eine Studie in Brauntönen, eine Landschaft aus bewaldeten Hügeln, kahlen Bäumen, verblassten Weiden und abgeernteten Maisfeldern. Alles war von einer Art verhaltener Schönheit. Die vereinzelten Farmen wirkten stattlich und wohlhabend. Alle paar hundert Meter kam ich an einem Bauernhaus mit einem Garten voller Bäume und einer Schaukel auf der Veranda vorbei. Daneben stand eine rote Scheune mit abgerundetem Dach und ein Getreidesilo. Überall türmten sich Berge von Maiskolben auf den Trockengerüsten. Schwärme von Zugvögeln zogen über den blassen Himmel. Der Mais, der noch auf den Feldern stand, sah abgestorben und spröde aus, doch hin und wieder fraß sich noch eine riesige Mähmaschine durch die Reihen und spie leuchtend gelbe Kolben aus.
Über kleine Landstraßen fuhr ich durch das spärliche Nachmittagslicht. Diesen Staat zu durchqueren schien eine Ewigkeit zu dauern, doch das störte mich nicht, denn die Fahrt war angenehm und erholsam. Ein ganz außergewöhnlicher Reiz lag über diesem Tag, über dieser Jahreszeit, in der der Winter seinen Einzug hielt. Gegen vier Uhr wurde es dämmrig. Gegen fünf lugte die Sonne noch einmal aus den Wolken hervor, um hinter den Hügeln in der Ferne zu versinken, wie eine Münze, die man in ein Sparschwein steckt. In Ferryville breitete sich plötzlich der Mississippi vor mir aus. Es verschlug mir fast den Atem. Er war so breit und schön und anmutig, so wie er da lag, flach und ruhig. Im Licht der untergehenden Sonne schien er aus flüssigem Stahl zu bestehen.
Am anderen Ufer, etwa eine Meile entfernt, lag Iowa. Meine Heimat. Ein Kribbeln in der Magengegend ließ mich dichter ans Lenkrad rutschen. Ich fuhr zwanzig Meilen am Ostufer des
Flusses entlang und starrte zu den dunklen Felsvorsprüngen auf der anderen Seite hinüber. Bei Prairie du Chien überquerte ich den Fluss auf einer eisernen Brücke mit vielen Verstrebungen. Und dann war ich in Iowa. Ich fühlte, wie mein Herz schneller schlug. Dies war mein Staat. Mein Nummernschild unterschied sich nicht mehr von den anderen. Und niemand sah mich mehr an, als wollte er sagen: »Was willst du denn hier?« Hier gehörte ich hin.
Fast aufs Geratewohl fuhr ich im schwindenden Tageslicht durch den Nordosten Iowas. Alle paar Meilen begegnete mir ein Farmer auf einem Traktor, der zu einer der in den Hügeln über dem Mississippi verstreut liegenden Farmen ruckelte, wo das Abendessen wartete. Es war Freitag, einer der großen Tage im Alltag eines Farmers. Er würde sich gleich Arme und Hals waschen und sich dann zu seiner Familie an den mit großen Schüsseln beladenen Tisch setzen. Sie würden gemeinsam ein Tischgebet sprechen und sich nach dem Essen nach Hooterville aufmachen, um dort in der
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