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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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alle waren sie Hippies, was nicht bedeutet, dass sie nichts als Drogen und Straßenschlachten im Sinn hatten. Es waren aufgeschlossene und intellektuelle
Leute, die an der Politik Anteil nahmen und denen es nicht gleichgültig war, was aus dieser Welt werden würde. Horners Schilderungen legten die Vermutung nahe, dass sich die Bewohner von Iowa City inzwischen einer gründlichen Gehirnwäsche unterzogen hatten.
    »Was ist denn passiert? fragte ich Horner, als wir es uns mit einem Bier in seinem Haus bequem gemacht hatten. »Warum haben sie sich so verändert?«
    »Genau weiß ich das auch nicht«, antwortete er. »Ich schätze, der Hauptgrund ist, dass der Kampf gegen Drogen für die Reagan-Administration zur fixen Idee geworden ist. Sie unterscheiden nicht zwischen harten und weichen Drogen. Bist du ein Dealer und wirst mit Marihuana geschnappt, wanderst du genauso lange in den Bau, als wäre es Heroin. Also verkauft keiner mehr Marihuana. Alle, die es mal verkauft haben, sind zu Crack und Heroin übergegangen. Schließlich ist es dasselbe Risiko, aber es springt wesentlich mehr Geld dabei heraus.«
    »Hört sich verrückt an«, sagte ich.
    »Natürlich ist es verrückt!«, antwortete er und wurde ein wenig heftig. Dann beruhigte er sich wieder. »Viele Leute handeln heute überhaupt nicht mehr mit Marihuana. Kannst du dich an Frank Dortmeier erinnern?«
    Frank Dortmeier war ein Typ, der säckeweise Drogen zu sich zu nehmen pflegte und Koks durch einen Gartenschlauch schnupfte. »Na klar«, sagte ich.
    »Von ihm habe ich immer mein Marihuana bekommen. Dann trat dieses Gesetz in Kraft, dass jeder, der innerhalb von tausend Yards im Umkreis einer Schule Rauschgift verkauft und sich dabei erwischen lässt, für den Rest seines Lebens hinter Gitter wandert. Egal, ob du deiner eigenen Mutter einen kleinen Joint verkaufst oder dich auf die Stufen einer Schule stellst und das Zeug jedem Kind andrehst, das vorbeikommt – sie stecken dich bis in alle Ewigkeit in den Knast. Als dieses Gesetz also in Kraft trat, fing Dortmeier an, sich Sorgen zu machen, denn er wohnt
in der Nähe einer Schule. Und als er eines Nachts im Schutz der Dunkelheit mit einem Maßband die Entfernung zwischen seinem Haus und dieser Schule ausmisst, stellt er fest, dass sie genau 997 Yards beträgt. Seitdem verkauft er kein Marihuana mehr.« Traurig trank Horner sein Bier. »Es ist wirklich frustrierend. Ich meine, hast du jemals versucht, in diesem Land ohne Dope fernzusehen?«
    »Das muss hart sein«, stimmte ich zu.
    »Dortmeier gab mir den Namen seines Lieferanten, damit ich es mir selbst besorgen konnte. Der Typ lebt in Kansas City. Das wusste ich überhaupt nicht. Ich fuhr also den ganzen Weg bis nach Kansas City, nur um ein paar Gramm Marihuana zu kaufen. Es war total verrückt. Überall in seinem Haus lagen Gewehre herum, und der Typ sah ständig aus dem Fenster, als würde er damit rechnen, dass die Polizei ihn jeden Moment auffordern würde, mit erhobenen Händen aus dem Haus zu kommen. Er war mehr oder weniger davon überzeugt, dass ich in Wahrheit ein Beamter des Rauschgiftdezernats bin. Da stand ich nun, ein fünfunddreißigjähriger Familienvater mit Collegebildung und respektablem Beruf, 180 Meilen von zu Hause entfernt und alles andere als sicher, dass ich hier mit heiler Haut wieder herauskommen würde, und all das nur, um mir ein bisschen von dem Zeug zu besorgen, das mich das amerikanische Fernsehen leichter ertragen lässt. Das Ganze war wirklich zu idiotisch. Das ist nur was für Leute wie Dortmeier, für Leute, die drogensüchtig sind und keinen Funken Verstand im Kopf haben.« Horner schüttelte die Bierdose an seinem Ohr, um herauszufinden, ob sie leer war, und sah mich dann an. »Hast du vielleicht zufällig ein bisschen Dope dabei?«
    »Tut mir Leid, John«, sagte ich.
    »Schade«, sagte Horner und verschwand in der Küche, um uns noch ein paar Bier zu holen.

    Ich übernachtete in Horners Gästezimmer und stand morgens zusammen mit ihm und seiner sympathischen Frau in der Küche, trank Kaffee und plauderte, während um unsere Beine kleine Kinder herumwirbelten. Das Leben ist schon merkwürdig, dachte ich. Dass Horner eine Frau und Kinder hatte und einen Bauch und eine Hypothek und dass er sich wie ich der Klippe der mittleren Jahre näherte, all das war mir eigenartig fremd. Wir haben so viele Jahre unserer Kindheit und Jugend gemeinsam verbracht, dass ich wohl erwartet hatte, dieser Zustand würde ewig währen. Mit einigem

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