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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Platz. Kommt jemand daher und bietet Nonnen gutes Geld für ihre Treppe an, dann sagen sie nicht: »Kommt nicht in Frage, das ist ein geweihtes Heiligtum, die hat uns ein geheimnisvoller Bote Gottes gebaut.« Sie sagen »Wie viel?«, und wenn sich das Angebot sehen lassen kann, schlagen sie zu und bauen mit dem Geld ein neues, größeres Kloster mit Klimaanlage, Parkplätzen und Fernsehraum. Ich will damit ganz sicher nicht andeuten, Nonnen seien in dieser Hinsicht schlimmer als andere Amerikaner. Sie sind nur eben auch nicht besser. Ich finde das sehr traurig. Es ist kein Wunder, dass in diesem Land kaum etwas die nächste Generation überdauert.

    Ich verließ Santa Fe und fuhr über die Interstate 40 nach Westen. Dies war einmal die Route 66 gewesen. Jeder liebte die
Route 66. Die Leute besangen sie in ihren Liedern. Doch dann war sie mit ihren zwei Fahrspuren nicht mehr zeitgemäß, ganz und gar ungeeignet für Motor Homes. Alle fünfzig Meilen führte sie durch ein kleines Städtchen, und es konnte passieren, dass man vor einem Stoppschild oder einer Ampel halten musste – so ein Mist! –, also begruben sie sie unter dem Wüstensand und bauten einen neuen Superhighway, der wie ein vierspuriger Laser durch die Landschaft schießt und vor nichts mehr Halt macht, nicht einmal vor den Bergen. Und wieder ist etwas Schönes und Angenehmes für immer aus unserem Leben verschwunden, weil es unpraktisch war – wie Passagierzüge und Milch in Flaschen und Tante-Emma-Läden und Burma-Shave-Schilder. Und dasselbe geschieht nun auch in Großbritannien. Sie nehmen uns all die liebenswerten Dinge, weil sie nicht mehr zweckmäßig sind, als wenn das ein Grund wäre – die roten Telefonzellen, die Pfundnote, die offenen Londoner Busse, wo man während der Fahrt auf- oder abspringt. Bei kaum einer Gelegenheit fühlt man sich so weltmännisch – und man fühlt sich nicht nur so, man sieht auch so aus – wie beim Aufspringen auf einen fahrenden Londoner Bus. Aber sie sind unpraktisch. Sie erfordern zwei Mann Besatzung (der eine fährt, und die Aufgabe des anderen besteht darin, die Schlägertypen daran zu hindern, den pakistanischen Herrn im hinteren Teil des Busses zu verdreschen), und das ist nun mal unwirtschaftlich. Also müssen sie verschwinden. Und bald wird man auch uns keine Milchflaschen mehr vor die Haustür stellen, und auf dem Land wird es keine verschlafenen Pubs mehr geben, und die Landschaft wird sich in eine Wüste aus Einkaufszentren und Vergnügungsparks verwandeln. Verzeihung. Ich wollte mich nicht aufregen. Aber ihr raubt mir meine Welt, langsam, aber sicher, und manchmal kotzt es mich an. Tut mir Leid.

    Ich fuhr über die Interstate 40 in Richtung Westen. Das Land war karg und dünn besiedelt. Die wenigen Ortschaften bestanden
überwiegend aus Ansammlungen von Wohnwagen, die einfach so am Straßenrand abgestellt waren, als hätte man sie schlicht vergessen. Sie hatten keine Gärten, keine Zäune, nichts, das sie von der Wüste abhob. Große Teile des Landes gehören zu Indianerreservaten. Alle zwanzig oder dreißig Meilen fuhr ich an einem einsamen Anhalter vorbei; manchmal war es ein Indianer, meistens aber eine Person weißer Hautfarbe, die mit ihrem Gepäck allein an der Straße stand. Bisher waren mir kaum Anhalter begegnet, hier dafür umso mehr. Die Männer sahen gefährlich aus, die Frauen eher verrückt. Ich kam in das Land der Gestrandeten, der Träumer, Verlierer, Landstreicher und Verrückten – in Amerika ziehen sie alle nach Westen, getrieben von der Hoffnung, an der Küste ihr Glück als Filmstar oder Rockmusiker oder als Kandidat einer Gameshow zu machen. Und sind die Träume erst geplatzt, kann aus jedem von ihnen ein Serienmörder werden. Merkwürdig, dass niemand nach Osten zieht, dass man nie jemanden am Straßenrand aufliest, der nach New York will, vielleicht, um mit Börsenspekulationen ein Vermögen zu verdienen oder staatlich geprüfter Buchhalter zu werden oder einen ähnlich verrückten Traum zu verwirklichen.
    Das Wetter verschlechterte sich. Sand wehte über die Straße. Ich fuhr direkt in das Unwetter, das am Morgen zuvor der Herr vom Wetteramt im Fernsehen erwähnt hatte. Hinter Albuquerque verdunkelte sich der Himmel. Schneeregen schoss durch die Luft. Kugelige Steppenläufer wirbelten über den Highway, und jeder Windstoß versetzte dem Wagen einen heftigen Schlag in die Seite.
    Bisher hatte ich angenommen, Wüsten wären das ganze Jahr über heiß und trocken. Nun weiß

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