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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Also machte ich mich sogleich auf den Weg.
    Ich folgte der US 285 gen Süden. Der Highway verläuft entlang
der nordamerikanischen Wasserscheide und führt durch eine Landschaft von atemberaubender natürlicher Schönheit, übersät mit Schandflecken menschlichen Ursprungs – mit Abstellplätzen für Lkw-Anhänger, mit unansehnlichen Siedlungen, sogar mit Schrottplätzen. Jede Stadt bestand überwiegend aus einer Ansammlung von Fastfood-Restaurants und Tankstellen, und überdimensionale Schilder mit Aufschriften wie CAMPINGPLATZ, MOTEL, FLOSSFAHRTEN säumten die Straße.
    Je weiter ich nach Süden kam, desto karger wurde das Land. Auch die Schilder verschwanden nach einer Weile. Hinter Saguache verwandelte sich die weite Ebene zwischen den Bergen in ein Meer aus violettem Salbei, durchsetzt von Flecken brauner, unfruchtbarer Erde. Mit Hilfe von gewaltigen Berieselungsanlagen hatte man dem Gestrüpp hier und da ein grünes Feld abgerungen, in dessen Mitte sauber und ordentlich eine Farm stand. Mit Ausnahme dieser vereinzelten Oasen war die Landschaft bis hin zu den Bergen in der Ferne so eintönig wie der Grund eines ausgetrockneten Meeres. Zwischen Saguache und Monte Vista verläuft eine der zehn oder zwölf längsten Strecken schnurgerader Straße in Amerika: fast vierzig Meilen Highway ohne eine Kurve, ohne einen einzigen Knick. Das mag sich noch erträglich anhören, aber unterwegs scheint die Straße schier endlos zu sein. Nirgends kommt man sich so verloren vor wie auf einem Highway, der einem beharrlich in die Ferne rückenden Fluchtpunkt entgegenstrebt. In Monte Vista macht die Straße eine Linkskurve – man richtet sich auf und greift nach dem Lenkrad –, und dann folgen weitere zwanzig Meilen gerader Straße, so gerade wie die Kante eines Lineals. Zwei- oder dreimal in der Stunde kommt man durch einen staubigen Ort, bestehend aus einer Tankstelle, drei Häusern, einem Baum und einem Hund, oder man erreicht eine Stelle, an der sich die Straße leicht krümmt, so dass man das Lenkrad zwei Sekunden lang drei Zentimeter nach rechts oder links ziehen muss – mit mehr
Abwechslung ist im Laufe einer Stunde nicht zu rechnen. Während der restlichen Zeit bewegt man keinen Muskel, und das Sitzfleisch wird so taub, als würde es zu einem anderen Körper gehören.
    Am frühen Nachmittag passierte ich die Staatsgrenze von New Mexico – einer der Höhepunkte des Tages. Seufzend stellte ich fest, dass auch hier die Landschaft ebenso einschläfernd war wie zuvor in Colorado. Ich schaltete das Radio ein. Da ich jedoch weit von jeder größeren Stadt entfernt war, konnte ich nur vereinzelte, spanischsprachige Sender empfangen. Sie brachten diese Art mexikanischer Musik, wie sie von umherziehenden Musikanten mit Schnurrbärten und großen Sombreros in den Restaurants gespielt wird, in die Highschool-Lehrer ihre Frauen zum dreißigsten Hochzeitstag auszuführen pflegen. In all meinen sechsunddreißig Lebensjahren ist mir niemals in den Sinn gekommen, dass irgendjemand zu seinem Vergnügen mexikanische Musik hören könnte. Hier wurde sie von einem Dutzend Radiostationen geschmettert. Nach jedem Lied plapperte ein Discjockey ein, zwei Minuten lang in Spanisch. Seine Stimme klang, als hätte er sich gerade sein empfindlichstes Körperteil mit einer Schublade eingeklemmt. Es folgte ein Werbespot, der von einem Mann vorgetragen wurde, dessen Stimme noch wehleidiger war – er hatte die schmerzhafte Erfahrung mit der Schublade eindeutig zum wiederholten Male gemacht. Dann wurde das nächste Lied gesendet. Genauso gut konnte es allerdings auch das Lied von vorher gewesen sein. Das ist das Problem mit mexikanischen Musikern. Ihr Repertoire scheint sich auf eine einzige Melodie zu beschränken. Vielleicht erklärt das, weshalb die meisten von ihnen nur von zweitklassigen Restaurants engagiert werden.
    In einer winzigen Ortschaft namens Tres Piedras – fast jeder Ort in New Mexico hat einen spanischen Namen – fuhr ich auf den Highway 64 nach Taos, und die Landschaft wurde interessanter. Der Salbei wuchs üppiger, und die Berge nahmen eine
dunklere Farbe an. Über den Himmel von Taos und Umgebung ist vieles geschrieben worden. Und er ist wirklich erstaunlich. Noch nie habe ich einen so leuchtend blauen Himmel gesehen. In diesem Teil der Wüste ist die Luft so klar, dass man an manchen Tagen 180 Meilen weit sehen kann; so stand es in meinem Reiseführer. Jedenfalls konnte ich verstehen, weshalb Taos auf Künstler und

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